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1. Juni 2011

Wo der Palästinenser-Schal fröhlich flattert

In der Rubrik „S.P.O.N. – Die Kolumnisten“ veröffentlichen sechs Kolumnisten abwechselnd auf Spiegel Online ihre ganz persönliche Sicht auf Themen der Zeit. Am 30.5.2011 schrieb Jan Fleischhauer unter der Überschrift „Wo der Palästinenser-Schal fröhlich flattert“ eine Beitrag über das Tragen von Palästinensertüchern und linken Antisemitismus.

Kritik an den Juden gehört in Deutschland Gott sei Dank schon lange nicht mehr zum Repertoire von Politikern. Ausgerechnet in der Linkspartei scheint aber so mancher entschlossen, dieses Tabu zu brechen. Der härteste Antisemitismus findet sich nicht nur auf der extremen Rechten, sondern immer wieder auch bei der radikalen Linken. Von Jan Fleischhauer

Zu den erfreulichen Entwicklungen in der Bundesrepublik gehört das weitgehende Verschwinden des Antisemitismus. Soweit man den Umfragen trauen kann, haben die meisten Bürger über Juden keine besondere Meinung, das heißt, sie denken über sie nicht viel besser oder schlechter als über andere Leute auch. Rechtsradikale fristen bis heute politisch ein Außenseiterdasein. Im Deutschen Bundestag sitzt keine Partei, deren Abgeordnete antisemitische Positionen vertreten oder mit Judenhassern sympathisieren.

Aber halt, genau das stimmt ja leider nicht ganz. Diese Partei gibt es doch, sie firmiert nur unter einem neuen Namen. Sie heißt in diesem Fall nicht NPD, sondern Die Linke.

Wer dachte, das ungeklärte Verhältnis zur DDR sei das größte Problem der SED-Nachfolgeorganisation, sieht sich getäuscht

Die Linkspartei ist die einzige Partei, deren Abgeordnete man bei Veranstaltungen sieht, wo „Tod Israel“ skandiert wird. Nur Vertreter der Linkspartei bleiben demonstrativ sitzen, wenn der israelische Staatspräsident am Tag der Befreiung von Auschwitz den Bundestag besucht, und man darf sicher sein, es ist kein Altersgebrechen, das sie auf ihrem Stuhl hält. Vergangene Woche erst sah sich das Parlament genötigt, eine aktuelle Stunde anzuberaumen, um über „mögliche antisemitische und antiisraelische Positionen“ bei den bekennenden Freunden des Sozialismus zu reden. Wer dachte, das ungeklärte Verhältnis zur DDR sei das größte Problem der SED-Nachfolgeorganisation, sieht sich getäuscht: Auch im Verhältnis zur ersten deutschen Diktatur scheint bei ihr noch einiges im Unklaren zu liegen.

Nun gibt es in jeder Partei Wirrköpfe, bei der Linkspartei ist deren Anzahl eben besonders hoch, könnte man entschuldigend einwenden. Natürlich gibt es lange Erklärungen des Parteivorstands zum Existenzrecht Israels und der Verpflichtung, die der Bundesrepublik aus der Nazi-Zeit erwächst; das Problem ist nur: Es hat im Zweifelsfall keine Folgen. Beziehungsweise es interessiert offenkundig auch den Vorstand nicht besonders, wenn sich die eigenen Leute kaum um solche Proklamationen scheren.

Aufruf zum Boykott israelischer Waren

Anders ist es ja nicht zu erklären, dass es elf Abgeordneten der Linkspartei erlaubt ist, den Saal zu verlassen, wenn der Bundestag eine fraktionsübergreifende Resolution gegen den Antisemitismus beschließt. Oder dass zwei Mitglieder der Fraktion auf einem Hamas-Dampfer gen Gaza mitschippern, der zuvor mit allen denkbaren Verwünschungen gegen den Judenstaat am Kai verabschiedet wurde. Oder Linken-Mitglieder in Bremen einen Aufruf zum Boykott israelischer Waren unterstützen, ohne dass dies nennenswerte Konsequenzen hätte.

Man muss sagen, es war schon immer eine Spezialität der radikalen Linken, die Juden als Problem zu sehen, jedenfalls im Westen der Republik. In dieser Ecke des politischen Spektrums hält sich bis heute der Glaube, dass die Welt ein friedlicherer Platz wäre, wenn sie sich endlich ein bisschen am Riemen reißen würden. Statt von Juden spricht man als Konzession an den Zeitgeist lieber von Israelis, aber jeder weiß, was gemeint ist.

Linker Antisemitismus kann auf beachtliche Traditionslinie zurückblicken

Auch der linke Antisemitismus kann inzwischen auf eine beachtliche Traditionslinie zurückblicken. Es ist heute etwas in Vergessenheit geraten, aber bevor sich die Freischärler des revolutionären Kampfs in Deutschland daran machten, Unternehmer, Politiker und Justizbedienstete umzulegen, nahmen sie sich erst einmal die Überlebenden des Holocaust vor. Die Geburtsstunde des deutschen Guerillakampfs datiert nicht von ungefähr auf den 9. November 1969, also den Jahrestag der Pogromnacht, die eine neue Stufe des Terrors gegen die Juden im Nazi-Reich einleitete. Das erste Anschlagsziel war das jüdische Gemeindehaus in Berlin, in dem ein Vortrupp der RAF eine, glücklicherweise fehlerhafte, Bombe legte, um den „Judenkomplex“ zu brechen, wie es dazu in einem Bekennerschreiben hieß.

Später standen ein jüdischer Kindergarten auf der Liste, das Büro der israelischen Fluggesellschaft El-Al im Berliner Europacenter, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Berlin, Heinz Galiniski. Dass in den meisten Fällen die Sache glimpflich ausging, lag nicht etwa an plötzlich einsetzenden Gewissensbissen, sondern an der mangelnden Vorbereitung der revolutionären Kader. Seit die RAF die Waffen gestreckt hat, tobt sich die Aggression nur noch verbal aus, was schon einmal ein Fortschritt ist. An den Positionen, in denen sich die Kapitalismuskritik mit Warnungen vor einer finanzmächtigen Israellobby verbindet, hat sich allerdings nichts geändert.

Linker Antisemitismus ist möglich!

Keine Frage, dass die linken Antisemiten dabei jeden Verdacht des Antisemitismus weit von sich weisen. Wer gegen rechts ist, könne kein Judenfeind sein, so die Selbstentschuldung. Oder, wie es der Schriftsteller Gerhard Zwerenz vor Jahren in einem „Zeit“-Artikel festhielt: „Linker Antisemitismus ist unmöglich.“ Natürlich reagieren auch die Vertreter der Linkspartei ganz empört auf den Vorwurf, sie hätten etwas gegen Juden. „Unerhört“ ist der am häufigsten verzeichnete Zwischenruf in der Bundestagsdebatte am vergangenen Mittwoch.

Aber vielleicht ist alles in Wirklichkeit auch nur ein großes Missverständnis. Es ist ja durchaus denkbar, dass sich die linke Bundestagsabgeordnete Inge Höger weiter nichts Böses dabei gedacht hat, als sie vor drei Wochen zusammen mit einer Reihe von Hamas-Sympathisanten auftrat, um auf der „9. Konferenz der Palästinenser in Europa“ ein Grußwort zu sprechen. Dass sie dabei einen Palästinenser-Schal trug, auf dem Israel von der Landkarte verschwunden war? Alles nicht so gemeint, wie sie anschließend erklärte: Sie habe einfach nicht „unhöflich“ sein wollen, als ihr jemand den Schal umlegte. Außerdem habe Israel ja bis heute „keine Staatsgrenzen definiert“ – logisch, dass es dann auch auf einer Karte des Nahen Ostens nichts verloren hat.

Es ist schon eine Crux mit den Juden, sie sind gleich immer so empfindlich. Also, liebe Linkspartei-Mitglieder, ein Rat von dieser Seite: Wie wäre es, ihre hieltet einfach mal für eine gewisse Zeit zu dem Thema die Klappe? Damit würdet ihr dem Land, aber vor allem euch selber einen echten Dienst erweisen.

Ältere Beiträge zum Thema Palaestinensertuch:

Welt Online: Promis und Nazis tragen Palaestinensertuch
SZ Magazin: Palästinensertuch
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