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21. Oktober 2012

Kommentar: Ahmadinedschads Iran, eine tickende Zeitbombe

Das Teheraner Regime ist durch die Sanktionen im Atomstreit angeschlagen. Doch der Westen darf nicht davon ausgehen, dass es darum klein beigibt. Denn es folgt einer irrationalen Heilslehre. Ein Kommentar von Richard Herzinger, erschienen auf Die Welt Online, 21.10.2012.

Wie oft hat man das schon gelesen? Der Iran sei bereit, mit dem Westen über den Stopp seiner Urananreicherung zu verhandeln, erklärte vergangene Woche das iranische Außenministerium. Als Gegenleistung verlange Teheran jedoch die Aufhebung der UN-Sanktionen und die Anerkennung des Rechts, Atomkraft zu friedlichen Zwecken zu nutzen.

Immer wieder hat das iranische Regime seit über einem Jahrzehnt mit Ankündigungen möglicher Zugeständnisse den Westen hingehalten. Tatsächlich hat es dann stets nur zum Schein verhandelt, um währenddessen seine Nuklearproduktion umso intensiver voranzutreiben.

Zuletzt verhielt es sich so vor einem halben Jahr, als sich die iranische Führung auf Gespräche mit den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates plus Deutschland einließ und westliche Politiker dies einmal mehr als möglichen Durchbruch zur Lösung des Atomkonflikts anzupreisen versuchten. Heraus kam einmal mehr nichts. Die Verhandlungen wurden im Juni ergebnislos vertagt, und seitdem haben USA und EU die Sanktionen gegen den Iran deutlich verschärft.

Dass Teheran jetzt zur Abwechslung wieder einmal Kompromissbereitschaft signalisiert, besagt nicht mehr, als dass diese Strafmaßnahmen inzwischen dramatische Auswirkungen auf die ohnehin morsche iranische Wirtschaft zeitigen. So leichtgläubig, den Iran auf Goodwill-Beteuerungen hin vom Sanktionshaken zu lassen, dürften mittlerweile freilich nicht einmal mehr die Europäer sein.

Die Angst als Lebenselixier des Regimes

Völlig offen bleibt indes die Frage, was der Westen tun will, sollte Teheran auch unter dem Eindruck des drohenden wirtschaftlichen Kollapses nicht von seinem Atomwaffen programm ablassen. Dass die wachsende ökonomische Misere das Regime unweigerlich zur Mäßigung zwingen oder gar seinen Sturz bewirken werde, könnte sich dabei als fatale Fehlkalkulation erweisen.

Totalitäre revolutionäre Regime haben sich noch nie um das Wohl der von ihnen beherrschten Bevölkerung geschert. Für ihren Machterhalt sind sie vielmehr stets bereit gewesen, noch die allerletzten Kräfte aus den von ihr unterworfenen Gesellschaften herauszupressen. Wie zählebig und brandgefährlich ein längst bankrottes totalitäres System sein kann, zeigt das Beispiel Nordkorea.

Im Iran hat der Volksaufstand von 2009 die Macht der theokratischen Herrscherkaste nicht erschüttert, sondern im Resultat eher gestärkt. Konnte das Regime durch die gnadenlose Vernichtung der Opposition doch seine anhaltende Fähigkeit zu unbegrenzter Gewaltanwendung beweisen und damit wieder die nackte Angst ins Herz der iranischen Gesellschaft pflanzen – jene alles durchdringende Furcht vor dem Terror, die das Lebenselixier totalitärer Herrschaft ist.

Auf dem Weg zum vollständig islamisierten Nahen Osten

Ein revolutionäres Regime ist das iranische Regime ungeachtet aller Verschleißerscheinungen und fraktioneller Verwirrung in seinen Reihen im Kern geblieben. Wie einst die Bolschewiki Sowjetrussland nur als Vorposten betrachteten, der gehalten werden müsse, bis der weltrevolutionäre Funke überall gezündet habe, so erachten die iranischen Führer die Errichtung ihrer „Islamischen Republik“ nur als erste Etappe auf dem Weg zu einem vollständig in ihrem Sinne islamisierten Nahen Osten – und schließlich zu der in ihren Augen heilsgeschichtlich vorbestimmten Islamisierung der ganzen Welt.

Dass diese „universalistische“ Idee bei den iranischen Führern mit einem sehr irdischen nationalistischen Vorherrschaftsanspruch in der Region zusammenfällt, macht sie umso unberechenbarer. Vermischt sich in ihrer Politik doch kalte strategische Rationalität untrennbar mit einem heilsideologischen Irrationalismus.

Ein derartiges Regime kann nur im permanenten Vorwärtsgang zum verheißenen Endziel hin existieren. Kommt es zum Stehen oder weicht es, unter Preisgabe seiner vermeintlichen höheren Bestimmung, gar pragmatisch zurück, beginnt es zu zerfallen. Diese Lehre aus dem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums haben sich alle verbliebenen totalitären Führer fest eingeprägt.

Die Abhängigkeit Syriens vom Iran wächst

Der Westen muss daher damit rechnen, dass die iranischen Machthaber umso wütender um sich schlagen werden, je näher ihr Ende zu rücken droht. Diese gesteigerte Radikalisierung ist schon jetzt am Verlauf des syrischen Bürgerkriegs erkennbar. Dort greift der Iran nicht mehr nur mittels einheimischer Hilfstruppen (wie der Hamas in Palästina und der Hisbollah im Libanon), sondern durch direkte Militärpräsenz in einen auswärtigen Konflikt ein.

Je länger der Krieg dauert und sich das Assad-Regime eines nicht ganz zu erstickenden bewaffneten Aufstands erwehren muss, umso mehr wächst seine Abhängigkeit vom Iran – von dessen Waffenlieferungen wie von den nach Syrien entsandten Repressionsspezialisten der iranischen Revolutionsgarden. Statt, wie vom Westen erwartet, durch die Dauerkrise seines syrischen Verbündeten nachhaltig geschwächt zu werden, könnte der iranische Einfluss so noch erheblich wachsen.

Iran als Profiteur des blutigen Chaos’ in der Region

Nicht nur hat sich der syrische Konflikt mittlerweile zum dauerhaften Stellvertreterkrieg zwischen sunnitischen und schiitischen Mächten ausgeweitet, er beginnt auch auf die Nachbarländer Libanon und Irak überzuspringen – eine Folge nicht zuletzt der beharrlichen Noninterventionspolitik des Westens. Wird aber der Iran als Profiteur des blutigen Chaos in der Region und schon gar als potenzielle nukleare Vormacht nicht in die Schranken gewiesen, droht dem Nahen Osten ein flächendeckender Krieg.

Egal, ob Barack Obama oder Mitt Romney zum nächsten US-Präsident gewählt wird – weder mit einem westlichen Eingreifen in Syrien noch mit einem Militärschlag gegen die Atomanlagen des Iran ist in nächster Zukunft zu rechnen. Auch nicht vonseiten Israels, dessen Ministerpräsident einsehen musste, dass auch sein Favorit Romney seine mögliche Amtszeit kaum mit der Verwicklung in einen militärischen Konflikt beginnen will.

So bleibt einstweilen kaum mehr als die Hoffnung, wirtschaftlicher Druck werde die iranische Führung – spätestens nach dem Ende der Regentschaft Ahmadinedschads im kommenden Juni – doch noch zur Vernunft bringen. Es ist ja bekanntlich die Hoffnung, die zuletzt stirbt.

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