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14. Februar 2012

Dresdner weisen Neonazis in die Schranken

dapd. Mit friedlichen Gedenkveranstaltungen und Demonstrationen haben Tausende Dresdner am 67. Jahrestag der Zerstörung der Stadt an die Opfer erinnert und gegen einen Neonazi-Aufmarsch protestiert. 13.000 Menschen reihten sich nach Angaben der Stadtverwaltung am Abend des13. Februars 2012 bei Schnee und Minusgraden in eine 3,6 Kilometer lange Menschenkette ein. Viele von ihnen trugen als Zeichen des friedlichen Widerstandes eine weiße Rose in der Hand oder als Anstecker an der Jacke.

Zu den Teilnehmern gehörten auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich, die Bundesspitze der Grünen um Claudia Roth und Cem Özdemir sowie Linke-Chefin Gesine Lötzsch.

Die NS-Ideologie sei ein Weltbild „voller Hass, Mord, Gewalt und Angst“, sagte Dresdens Erster Bürgermeister Dirk Hilbert bei einer Kundgebung. Das Gedenken müsse auch im Zusammenhang mit dem gesehen werden, was in Dresden „passiert ist und heute noch passiert“, fügte der FDP-Politiker hinzu. Bei den alliierten Bombenangriffen am 13. und 14. Februar 1945 auf Dresden waren bis zu 25.000 Menschen ums Leben gekommen.

Neonazis missbrauchen seit Jahren den Gedenktag

Nach dem Ende der Menschenkette versammelten sich Neonazis am Dresdner Hauptbahnhof. Die Polizei zählte 1.600 Rechtsextreme, die gegen 19.30 Uhr unter Polizeischutz mit einem Fackel-Aufmarsch begannen. Der Bereich um den Hauptbahnhof und die Marschroute waren zuvor weiträumig abgesperrt worden. 2.000 Gegendemonstranten begleiteten den Aufmarsch in Hör- und Sichtweite mit Pfiffen und Protestrufen wie „Nazis raus“. Der Protest war friedlich, aber dank Trommeln und Musik lautstark. 6.000 Polizeibeamte sicherten die Innenstadt.

Nach wenigen hundert Metern wurde der Aufmarsch umgeleitet, nachdem der Protest entlang der Strecke übergroß wurde. Kurz nach 20.00 Uhr mussten die Neonazis ihren Zug vorzeitig beenden. Bis 21.00 Uhr zogen die letzten Neonazis frustriert ab. Als militant geltende Rechte stritten mit Vertretern der NPD.

Die Neonazi-Gegner feierten den Rückzug als Erfolg.

Neonazis versuchen seit Jahren, mit Aufmärschen den Gedenktag für ihre Zwecke umzudeuten und zu missbrauchen. Im vergangenen Jahr war der Gedenktag auf einen Sonntag gefallen, damals reihten sich 17.000 Menschen in die Kette ein. 2010 verhinderten 12.000 Demonstranten erstmals den Aufmarsch von 6.000 Neonazis, Tausende Dresdner beteiligten sich damals an der Menschenkette.

Im vergangenen Jahr war es am 19. Februar bei weiteren Protesten gegen Neonazis zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen, bei denen mehr als 100 Polizisten verletzt wurden. Die Aufmärsche wurden verhindert.

Rechtsextreme ziehen frustriert ab

Thierse hatte vor dem Aufmarsch der Nachrichtenagentur dapd gesagt, „man kann nicht ganz widerspruchslos und unkommentiert den Neonazis die Straße überlassen“. Er habe Sympathie für Menschen, die sagten, Neonazis dürften nicht ungestört durch die Dresdner Straßen marschieren. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) erklärte, solange es Rechtsextremismus und Antisemitismus gebe, seien Gegenproteste notwendig.

Am Nachmittag hatten bereits Politiker, Diplomaten und Bürger auf dem Dresdner Heidefriedhof an die Opfer des Zweiten Weltkriegs erinnert. Die rechtsextreme sächsische NPD blieb dem Friedhof erstmals fern.

Mehr als 1.000 Menschen halten Erinnerung an NS-Täter wach

Über 1.000 Menschen erinnerten bei einem „Mahngang Täterspuren“ an NS-Täter und die Orte von nationalsozialistischen Verbrechen in der Stadt. Mit dem Rundgang durch die Innenstadt solle ein „Anstoß für ein anderes Gedenken gegeben werden, als es bisher in Dresden üblich war“, sagte eine Sprecherin des Bündnisses „Dresden Nazifrei“, das die Veranstaltung am Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg organisiert.

Es solle gezeigt werden, dass die Stadt „Teil des nationalsozialistischen Systems und nicht ihr Opfer“ war. Der Spaziergang führte unter anderem an der früheren Villa von NS-Gauleiter Martin Mutschmann vorbei, an einem Gefängnis, das als „Schutzhaftlager“ genutzt wurde und am sogenannten „Judenhaus“, in das jüdische Dresdner zwangsweise eingewiesen wurden und von dessen 47 Bewohnern nur zwei die spätere Deportation in ein Konzentrationslager überlebten.

Es sei „wichtig, solche Fakten wieder ins Bewusstsein der Dresdner zu rufen“, sagte der Dresdner Kabarettist Manfred Breschke. Zugleich müsse sich die Stadt gegen eine „Vereinnahmung“ ihrer Geschichte durch Rechtsextreme wehren. Breschke verwies darauf, dass die Stadt einst nach Breslau den zweithöchsten Anteil an NSDAP-Mitgliedern hatte. Heute habe Dresden den höchsten Anteil an NPD-Mitgliedern. Dies sei „ein Erbe, gegen das man etwas tun muss“.

Uneins im Gedenken

Max Boenke und Sven Heitkamp waren für Welt Online in Dresden. Zum 67. Jahrestag der Bombennacht ist Dresdens Bürgerschaft entzweit – vor allem über die Reaktion auf Neonazi-Aufmärsche. Die Polizei setzt stärker auf Deeskalation nach schweren Ausschreitungen im Vorjahr.

Der 13. Februar ist ein Schicksalstag für Dresden. Vor 67 Jahren ließen mehr als 1000 britische und amerikanische Flugzeuge etwa 3500 Tonnen Bomben auf die Stadt fallen. Dresden brannte in der Nacht des 13. Februar 1945 lichterloh. Mehr als 20 000 Menschen starben. Seit 20 Jahren gedenkt die Stadt am 13. Februar und den Tagen darauf gleichermaßen der Opfer des Nationalsozialismus, des Krieges und der Dresdner Bombennacht.

Doch ein Schicksalstag ist dies für die Landeshauptstadt auch insofern, als Tausende von Rechtsextremen aus ganz Europa seit Jahren das Datum für revisionistische Aufmärsche missbrauchen. Nachdem die Demonstrationen der Neonazis 2010 noch durch ein taktisches Manöver der Polizei von den Versammlungen der Trauernden getrennt werden konnten, lieferten sich im vergangenen Jahr Antifa, Rechtsextremisten und Polizei Straßenschlachten mit mehr als hundert Verletzten. Die Ermittlungsbehörden reagierten mit umstrittenen Mitteln: In der Gegendemonstranten-Szene kam es massenhaft zu Razzien; zudem speicherten die Behörden Millionen Handy-Verbindungen, erfassten somit Datensätze von mehr als 54 000 Personen. Selbst die Immunität einiger Landtagsabgeordneter von Linken und Grünen aus Hessen, Thüringen und Sachsen wurde im Zuge der Strafverfolgung aufgehoben.

Trotz der Ankündigung von Polizeipräsident Dieter Knoll, es nicht wieder zu Ausschreitungen kommen zu lassen, ist auch in diesem Jahr die Lage gespannt. 4500 Beamte aus dem ganzen Bundesgebiet sind da. Die Umgebung des Hauptbahnhofs ist geprägt von Einsatzkräften mit Schlagstöcken. Teils mit Waffen und Kameras ausgestattet, überwachen sie seit Sonntagabend Neuankömmlinge. Vor dem Gebäude sind Einsatzwagen und Wasserwerfer aufgereiht. Dennoch, sagt Knoll, setze die Polizei auf Deeskalation: „Erstmals gibt es in diesem Jahr Kommunikationsteams.“ Vor allem in der Altstadt stehen die Ansprechpartner in roten und neongelben Westen. Nur eine weiße Rose am Revers haben sie zu ihrer „Verteidigung“ mitgebracht. Die Polizei hofft so, mit Bürgern und Demonstranten in den Dialog treten zu können. Friedlich sind vor allem die vielen Gedenkgottesdienste in Kirchen und die erneut geplante Menschenkette um die Altstadt herum. Organisiert werden diese Aktionen von der Arbeitsgemeinschaft 13. Februar. Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Kirchen, Gewerkschaften, der Jüdischen Gemeinde sowie zivilgesellschaftliche Akteure tragen sie.

Allerdings ist einer der stärksten Akteure, das Bündnis „Dresden – Nazifrei“ nicht in der AG vertreten. Während sich die AG 13. Februar auf stilles Gedenken konzentriert, will „Dresden – Nazifrei“ vor allem den Neonazis entgegentreten. Auf ihrer Facebook-Seite, die knapp 18 000 Fürsprecher findet, drücken sich die Organisatoren deutlich aus: „Uns eint das Ziel, den Naziaufmarsch zu blockieren.“ Eines der Reizworte ist „ziviler Ungehorsam“ – so bewertet das Dresdner Verwaltungsgericht die Stehblockaden. Auch dieses Jahr haben Rechtsextreme einen eigenen „Trauermarsch“ in der Nähe der Altstadt angemeldet. Da auch für sie das Demonstrationsrecht gilt, machen sich die Blockierer strafbar. Das Bündnis, das auf Unterstützung von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) und Linken-Chefin Gesine Lötzsch zählen darf, gibt sich angstfrei: „Wir lassen uns nicht einschüchtern. Ziviler Ungehorsam ist unser Recht, unsere Blockaden sind legitim.“

Unumstritten ist der Täterspuren-Mahngang, den das Bündnis ab 14 Uhr mit etwa 1000 Begleitern in der Altstadt veranstaltet. Um den unter Rechtsextremisten verbreiteten Opfermythos Dresdens zu entgegnen, haben die Veranstalter zu einem Rundgang geladen, der an die NS-Verbrechen erinnern soll. Die Polizei nimmt vereinzelt Kontrollen vor, trottet ansonsten mit.

Die AG 13. Februar beginnt den Gedenktag auf dem Heidefriedhof, der letzten Ruhestätte vieler Bombenopfer. Es werden weiße Rosen niedergelegt. Auf das übliche Kranzablegen hat man verzichtet. Dirk Hillert, der Erste Bürgermeister der Stadt, begründet dies so: „Wir wollten einen Überbietungswettbewerb um die bessere Trauer verhindern.“

Um 16 Uhr versammeln sich die ersten Bürger auf dem Neumarkt für die große Menschenkette. 13 000 Bürger sind es am Abend. Seit 2009 bildet man einen Kreis um die Altstadt und schließt ihn unter dem Geläut der Kirchenglocken.

Von den etwa 800 Neonazis, die zuvor nordwestlich des Hauptbahnhofs ihren „Trauermarsch“ gestartet haben, ist vorerst nichts zu sehen. Umso präsenter ist das Bündnis, das dazu aufruft, sich den Nazis auch nach der Menschenkette in den Weg zu stellen. Per Twitter verkündet man: „Einige Züge mit ca. 200 Nazis kommen am Hbf. an. Sie wollen um 19 Uhr losgehen. Aber sie werden nicht durchkommen!“

Das sächsische Innenministerium blickt mit Sarkasmus auf die Gedenktage: „Wir gehen natürlich von einem friedlichen Verlauf aus“, sagt ein Sprecher. „Alle Demonstrationsanmelder haben sich ja von Gewalt distanziert.“

Eine Stadt zwischen Gedenken und Protest

Juliane Matthey und Christian Wolf berichteten für die dapd. 3,6 Kilometer lang ist die Menschenkette, die sich am Montagabend rund um die Dresdner Innenstadt formiert. Mehr als 13.000 Menschen, so hat Verwaltung ausgerechnet, halten sich an den Händen und gedenken auf diese Weise still der Opfer der Bombardierung Dresdens vor genau 67 Jahren. Zugleich wollen sie ein Zeichen setzen gegen Rechtsextreme, die das Gedenken am 13. Februar seit einigen Jahren für ihre Zwecke missbrauchen. Auch für diesen Abend haben Neonazis einen Aufmarsch angekündigt.

Das Gedenken an die verheerende Bombennacht des 13. Februar 1945 beginnt mittags. In der Frauenkirche, wo die alliierten Bomben vor 67 Jahren das Herz der Stadt trafen und ihre barocke Schönheit in Schutt und Asche legten, kommen Gläubige zu einer Friedensandacht zusammen. Gut 100 Dresdner und Touristen von der Schulklasse bis zum Senioren erinnern im Stillen an die Opfer des Zweiten Weltkrieges, während die Friedensglocke der Kirche läutet.

Die Gegner des Neonzai-Aufmarsches bereiten sich zugleich auf einen langen Tag vor. So ist schon vormittags eine Gruppe Jugendlicher aus Chemnitz angekommen, mit mehreren Pullovern übereinander, dicken Socken und Decken gegen die Kälte gewappnet. „Wir wollen verhindern, dass diese braunen Idioten überhaupt loslaufen können“, verkündet eine Abiturientin. Ihr Ziel ist eine Sitzblockade. Das Bündnis „Dresden Nazifrei“ hatte dazu bundesweit aufgerufen.

Zentrale Gedenkfeier von Protesten begleitet

Auch gegen das Gedenken selbst formiert sich Protest. Sichtbar wird dieser am Nachmittag auf dem Heidefriedhof am Stadtrand, auf dem Politprominenz und einige hundert Dresdner zur zentralen Gedenkveranstaltung zusammenkommen. Zur Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkrieges legen sie weiße Rosen nieder, ein Violinist spielt dazu, ein Chor singt. Die Polizei, die an diesem Tag mit 6.000 Einsatzkräften in der gesamten Stadt präsent ist, entfernt schnell und geräuschlos eine Gruppe linksgerichteter Demonstranten, die am Rande der Veranstaltung mit einem Transparent den Dresdner „Gedenkzirkus“ kritisierten. Anderen Protestlern wird der Zutritt zum Friedhof verwehrt.

Weiße Rosen haben sich auch viele Teilnehmer der Menschenkette am Abend an ihre dicke Winterkleidung geheftet, als Zeichen gegen Krieg, Rassismus und Gewalt. Einige lassen Luftballons steigen. Vor der Frauenkirche haben Hunderte Kerzen entzündet und sie auf dem Kopfsteinpflaster des Neumarkts in Form einer riesigen Friedenskerze arrangiert.

Es ist eine stille Demonstration im winterlich verschneiten Dresden. Nur der Lärm des pausenlos über der Innenstadt kreisenden Hubschraubers lässt ahnen, dass sich zur selben Zeit nur einige hundert Meter entfernt nahe des Hauptbahnhofs rund 1.500 Neonazis zum einem Aufmarsch formieren, während sich rund 1.000 Gegendemonstranten auf eine Blockade der Rechtsextremen vorbereiten.

Einer der vielen prominenten Politiker aus Stadt, Land und Bund, die sich in die Menschenkette eingereiht haben, ist Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse. Er zeigt Verständnis für friedliche Blockaden gegen Neonazi-Aufmärsche. „Man kann den Neonazis nicht ganz widerspruchslos und unkommentiert die Straße überlassen“, sagt Thierse, der sich bereits im vergangenen an den Anti-Nazi-Protesten in Dresden beteiligt hatte.

Nazi-Aufmarsch weiträumig von der Polizei abgesperrt

Ein 70-Jähriger aus der Nähe von Dresden, der sich zum ersten Mal in die Menschenkette einreiht, sagt, wenn er jünger wäre, würde er sich an den Blockaden beteiligen. In Gedanken unterstütze er die jungen Leute, die sich den Nazis entgegenstellen. „Der Protest gegen Rechts ist mittlerweile wichtiger geworden als das Erinnern an die Opfer“, sagt der Mann. Gemeinsam mit seiner Frau steht er in der Nähe des Zwingers.

Rund eine Viertelstunde lang besteht der geschlossene Ring aus Menschen, danach zerstreut sich die Menge. Einige bewegen sich in Richtung der Nazi-Demonstration in der Nähe des Hauptbahnhofs, die weiträumig von der Polizei abgesperrt ist. So versammeln sich einige hundert Menschen auf dem Sternplatz vor dem Kabarett „Herzkuleskeule“ und warten auf die Nazis. Zwischen den Absperrgittern und Wasserwerfern der Polizei hindurch können sie auf die Ammonstraße blicken. Dort wollen die Rechtsextremen am späteren Abend aufmarschieren.

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