Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern

Nachrichten

« Zurück

28. November 2011

Botschafter Yoram Ben-Zeev: „Shalom, Deutschland!“

„Die Wurzeln unserer Beziehungen sind stark“

Israels Botschafter Ben-Zeev über das deutsch-israelische Verhältnis, ein NPD-Verbot und Antisemitismus

Die Welt: Herr Botschafter, Sie sind seit vier Jahren in Deutschland. Was waren die hellsten Momente in diesen Jahren und was die größten Enttäuschungen?
Yoram Ben-Zeev: Da erinnere ich mich vor allem an Momente, die mich bewegt haben. Zum Beispiel die Rede von Präsident Schimon Peres im Bundestag Anfang 2010. Als er den Kaddisch, das Totengebet, für seinen Großvater sprach und alle Mitglieder des Bundestages aufstanden. Das hat mir einerseits das Herz gebrochen, weil er von den letzten Tagen erzählte, als sein Großvater ihn zum Bahnhof brachte.

Er fuhr damals nach Israel, um gerettet zu werden. Und sein Großvater wurde nach Auschwitz geschickt. Peres weinte. Direkt nach der Rede ging er mit Präsident Horst Köhler zum Gleis 17, um Kerzen anzuzünden für die Deportierten und Ermordeten. Man fühlt sich, als ob man auf einer Zeitwolke schweben würde. Sechs Überlebende standen damals zusammen mit Peres und Köhler, um die Kerzen anzuzünden. Und dann kamen junge Israelis und junge Deutsche dazu. Es war furchtbar kalt. Gebete wurden gesprochen. Man erinnerte sich an die furchtbare Zeit, für Juden und auch für viele Deutsche. Und dann kommen die Jungen dazu und reden über ihre gemeinsame Zukunft.

Die Welt: Was hat Sie enttäuscht?
Ben-Zeev: Es gab auch dunkle Momente, etwa als ich 5000 Nazis in Dresden marschieren sah. Als ich meine Beglaubigung beim Präsidenten abgab und wieder zurück ins „Adlon“ kam, die klassische Station vor und nach dem Weg zum Präsidenten, wurde ich gleich von einer israelischen Radiostation interviewt. Der Journalist fragte mich, was ich empfinde. Und ich sagte, wenn ich auf das Brandenburger Tor vor dem „Adlon“ schaue, dann gilt mein erster Gedanke Moses Mendelssohn, dem es zu seiner Zeit nicht erlaubt war, die Stadt durch dieses Tor zu betreten.

Aber lassen Sie mich über einen anderen positiven Moment sprechen. Die Rede der Bundeskanzlerin vor der Knesset im Frühjahr 2008. Ich wusste nicht, wie man sie empfangen würde. Es hatte vorher in der Knesset eine Debatte gegeben, und mehrere Abgeordnete hatten angekündigt, das Plenum verlassen zu wollen, wenn die Kanzlerin auf Deutsch sprechen würde. Aber am Tag selbst verließ dann niemand den Raum.

Die Welt: Sie hatte zwar auf Hebräisch begonnen, war dann aber ins Deutsche gewechselt.
Ben-Zeev: Genau, und dennoch blieben alle sitzen. Die Kanzlerin legte dann ein Zeugnis der großen Verantwortung Deutschlands für Israel und seine Sicherheit ab. Das war sehr wichtig. Ein anderer denkwürdiger Moment war, als ich von einer Infanterieschule der Bundeswehr eingeladen wurde.

Es war wieder sehr kalt, und mein Gastgeber, der später Sprecher der Nato in Afghanistan wurde, sagte mir, dass sie zu einer Militärübung ausrücken würden, und er fragte mich, ob ich teilnehmen wollte. Klar, sagte ich. Und ich zog eine deutsche Uniform an und nahm an einer Militärübung gegen Terrorismus teil. Das Bild wurde auch in Israel veröffentlicht, worauf mein Telefon nicht mehr stillstand. Ein Anrufer war ein sehr wichtiger Minister. Er fragte mich, ob das ein angemessenes Verhalten für einen israelischen Botschafter sei. Ich sagte, ich weiß, dass viele das von einem emotionalen Standpunkt betrachten, was ich respektiere. Aber ich habe so viel zu tun mit dem deutschen Militär. Die Deutschen nehmen etwa an der Unifil-Mission im Libanon teil, und wir haben sehr gute Beziehungen.

Die Welt: Sie haben vorher über die junge Generation gesprochen. Bisher war es so, dass viele Deutsche nach Israel als Freiwillige kamen, sei es aus Neugier, sei es als Wiedergutmachung für den Holocaust. Sie haben dann vorgeschlagen, das zu einer Angelegenheit auf Gegenseitigkeit auszubauen und israelische Volontäre nach Deutschland zu schicken. Das stieß zunächst auf beiden Seiten auf Widerstand. Warum?
Ben-Zeev: Israelische Politiker fragten, warum wir das tun sollten. Selbst im deutsch-israelischen Zukunftsforum war das umstritten. Die Deutschen sagten, wir schulden euch etwas, nicht umgekehrt. In Israel gab es Widerstand von prominenten Politikern, es war ein schwieriger Kampf. Aber ich denke, dass ich recht hatte. Wir haben vergangene Woche die zweite Gruppe israelischer Volontäre in Deutschland getroffen.

Ich halte es für wichtig, dass diese Israelis das Bild eines anderen Deutschland mit nach Hause nehmen. Für mich ist das eines der besten Projekte, die ich in meiner Zeit als Botschafter angestoßen habe. Gegenseitigkeit ist wichtig, damit die Beziehungen nicht nur auf politischer Ebene, auf der es auch Krisen geben kann, verankert sind, sondern auch auf der Ebene der Bevölkerungen.

Die Welt: Was sind die Gründe für Israelis, als Volontäre in einer deutschen sozialen Einrichtung arbeiten zu wollen?
Ben-Zeev: Zunächst einmal liegt der Freiwilligendienst in den israelischen Genen. Und dann ist da die deutsche Geschichte. Niemand kann sagen, egal ob alt oder jung, dass er wirklich verstanden hat, was zwischen 1933 und 1945 hier in Deutschland passiert ist. Wir wissen, was passiert ist, aber wir wissen immer noch nicht wirklich, warum.

Die Welt: Deutschlands Geschichte ist also weiter ein Rätsel.
Ben-Zeev: Absolut. Auch in Israel. Wir wissen, was passiert ist auf einer technischen Ebene, wir wissen von den Hasspredigten, der ideologischen Indoktrinierung. Wir wissen inzwischen auch, was wir tun können, um so etwas in Zukunft zu verhindern. Aber wenn ich aus dem Haus der Wannseekonferenz komme oder von der Gedenkstätte an Gleis 17, dann frage ich mich trotzdem immer wieder: Warum? Wie konnte das passieren? Ich lese die Dokumente, ich kenne die Mechanik dieser Geschichte, weiß, wer was zu wem gesagt hat.

Und trotzdem bleibt da dieses: Wie konnte es nur geschehen? Wie konnte ein kultiviertes, gebildetes Volk, das einige der größten Philosophen hervorgebracht hat, so etwas tun? Ich schaue mir die Humboldt-Universität an und frage mich, wie sie sich daran beteiligen konnte. Eine Buchnation, die den Buchdruck erfunden hat. Und dann Bücher verbrannte. Deutschland ist immer noch mit Selbstbefragung beschäftigt. Das beeinflusst unsere Beziehung und es beschäftigt auch die Israelis weiterhin und ist zwischen uns präsent. Und es ist wichtig, dass wir uns gemeinsam weiter mit diesen Fragen beschäftigen.

Die Welt: Antiisraelische Einstellungen, die die Schwelle zum Antisemitismus überschreiten, sind immer weiter verbreitet in einem Teil der europäischen Linken. Nun reckt aber auch der Rechtsradikalismus wieder sein Haupt in Deutschland. Die bekannt gewordenen Morde richteten sich bisher gegen Muslime, aber diese Kreise sind auch antisemitisch aufgeladen. Ist es für Juden in Europa heute wieder gefährlicher als noch vor einigen Jahren?
Ben-Zeev: Ich glaube schon. Natürlich gibt es einen Unterschied zu den 30er- und 40er-Jahren. Damals waren Juden von Regierungen und Institutionen bedroht. Solchen institutionalisierten Antisemitismus gibt es heute nicht mehr. Die Behörden in der Bundesrepublik gehen mit Entschlossenheit gegen Antisemitismus vor. Doch die Debatte über Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft geht weiter – und auch in der Linkspartei.

Aber wir sollten uns tatsächlich intensiver damit beschäftigen, wie es dazu kommen konnte, dass das einzige Land im Nahen Osten mit sozialen und humanitären Werten wie denen in Europa die Linke verloren hat. Und auf der anderen Seite stellt sich die Frage genauso, wie der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, es im Bundestag gesagt hat: Wie konnte es dazu kommen, dass die Linke Israel verloren hat? In der Linken findet inzwischen eine tief gehende Seelenerforschung statt, die die Partei manchmal auch spaltet. Aber es geht auch um viel schlimmere Entwicklungen als diese.

Ich war schon überrascht, als ich in Dresden so viele Nazis marschieren sah. Aber auf der anderen Seite habe ich auch viele gesehen, die gegen die Nazis demonstriert haben. Das war viel beeindruckender als die Nazis. Es gibt also Kontrollinstanzen. Manche fragen mich, ob ich Angst hätte. Natürlich habe ich Angst – um Deutschland. Und da kommen wir zu der Debatte über das Verbot der NPD.

Die Welt: Befürworten Sie ein Verbot?
Ben-Zeev:
Ja, wir haben so etwas ja auch in Israel gemacht. Als die Partei von Rabbi Kahane die Flagge des Rassismus schwenkte und radikale Antiislampositionen vertrat, wurde sie vom Obersten Gerichtshof verboten, weiter bei Wahlen anzutreten. Einmal hatte sie das zuvor getan und hatte dann in der Knesset ihr wahres Gesicht gezeigt. Das reichte. Ich glaube, dass die Demokratie sich verteidigen und Parteien wie der NPD nicht erlauben sollte, die Demokratie zu gefährden.

Die Welt: Ehud Olmert hatte sich als Premier international einen gewissen Kredit erarbeitet. Das scheint bei Netanjahu nicht der Fall zu sein.
Ben-Zeev: Ehud Olmert und Tzipi Livni hatten jahrelang gegenüber den Partnern auf das Problem Gaza und den anhaltenden Raketenbeschuss hingewiesen und gefragt, was sie tun sollten. Denn nichts hatte geholfen, keine Gespräche, kein Abwarten. Als Israel dann gezwungen war zu handeln, stellten sich Sarkozy, Berlusconi, Brown und Merkel hinter Israel. Das war auch das Ergebnis von starken und guten Beziehungen zwischen den führenden Politikern.

Die Welt: Das hatte aber auch damit zu tun, dass sie Olmert geglaubt haben, dass er auch wirklich Frieden meint, wenn er Frieden sagt.
Ben-Zeev: Das spielte auch eine Rolle. Ich erinnere mich daran, dass Olmert und Livni bei Merkel und Steinmeier nachfragten, ob sie nicht eine kleine Konferenz in Berlin ausrichten könnten, weil es Schwierigkeiten mit den Palästinensern gab. Die Kanzlerin sagte zu. Einige Monate später sollte das stattfinden. Das war dann aber schon inmitten der heißen Phase des Wahlkampfes in Israel. Und Tzipi Livni konnte schlicht keinen Flug nach Berlin finden, der ihr erlaubt hätte, trotzdem wichtige Wahlkampftermine in Israel wahrzunehmen.

Dann rief mich Steinmeier an und sagte: Du musst Tzipi nach Berlin bekommen. Ich sagte ihm: Sie hat einen wichtigen Termin, und du weißt, dass sie um ihr politisches Überleben kämpft. Kurz gesagt: Wir haben gemeinsam eine Lösung gefunden, sie nach Berlin zu bringen. Sie traf Fajjad, Condoleezza Rice, Steinmeier und Merkel und kam zurück nach Israel.

Die Welt: Und dann hat sie die Wahlen einerseits gewonnen und gleichzeitig die Macht verloren.
Ben-Zeev: Ja, aber es zeigt, wie eng die Beziehungen waren. Das ist eine Geste, die man nicht oft erlebt. Und sicher nicht in der neuen Konstellation.

Die Welt: Die Beziehung ist im Moment also nicht mehr so eng wie früher.
Die Welt: Die Beziehungen sind sehr eng und es gibt viel Austausch. Aber natürlich gibt es mit der neuen israelischen Regierung auch Meinungsverschiedenheiten. Das ist ja kein Geheimnis.

Die Welt: Hat sich das Verhältnis zwischen Angela Merkel und Benjamin Netanjahu abgekühlt?
Ben-Zeev: Persönliche Beziehungen sind wichtig, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Es kommt natürlich auch darauf an, dass man zu seiner eigenen Politik auch steht. Die Beziehungen zwischen Ex-Premier Ehud Olmert und Frau Merkel waren auch deshalb so gut, weil die Bundeskanzlerin Olmerts Politik und die seiner Außenministerin Tzipi Livni stark unterstützte, die eine Annäherung an die Palästinenser verfolgte. Das macht es dann natürlich einfacher, sich gegenseitig anzurufen. Es gab Zeiten, da haben sie fast jeden Tag miteinander telefoniert. Und es gab nichts, was Livni und Olmert nicht mit Merkel und ihrem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier geteilt hätten, sogar Erkenntnisse der Geheimdienste.

Die Welt: Die deutsch-israelischen Beziehungen haben sich in den vergangenen 60 Jahren so positiv entwickelt, dass man immer noch von einem Wunder sprechen muss. Was sind ihre Hoffnungen und ihre Befürchtungen für die Zukunft der Beziehungen?
Ben-Zeev: Zuerst die Befürchtungen. Ich bin Israeli. Steinmeier sagte mir einmal: Ihr lebt in einer Bunkermentalität. Darauf habe ich geantwortet: Wir leben in einer Bunkerrealität. Ich denke, wir sollten härter arbeiten, um Berührungspunkte zwischen beiden Ländern zu finden, nicht nur zwischen führenden Politikern. Eine Agenda für beide Gesellschaften zu finden ist sehr wichtig. Das ist aber schwierig.

Hier sind es 80 Millionen Leute, dort sind es acht Millionen. Die Deutschen beschäftigen sich mit Europa, während ein israelischer Premier jeden Morgen aufwacht und bewusst oder unbewusst die Frage stellt, was kann das Leben meines Landes gefährden? Wir haben keinen Spielraum für Fehler. Aber es gibt auch viele positive Dinge wie die Austauschprogramme.

In diesem Bereich bewundere ich das Engagement von Außenminister Guido Westerwelle, der zusammen mit seinem israelischen Amtskollegen Avigdor Lieberman eine Austauschagenda erstellt hat. Wir arbeiten etwa in Afrika zusammen. Dann eine Initiative, die noch auf Steinmeier zurückgeht. Er schlug einen Austausch zwischen Schriftstellern vor. Mehr als 70 haben das jeweils andere Land besucht und Veranstaltungen bestritten.

Die Welt: Sie haben nicht über Ihre Befürchtungen gesprochen.
Ben-Zeev: Ich sehe nicht, dass es einen Paradigmenwechsel zwischen den Ländern geben könnte. Wenn ich eine Angst habe, dann die, dass die Beziehungen in Klischees und in Normalität abgleiten. Die Wurzeln der Beziehungen sind sehr stark und sie können nicht so sein wie mit anderen Ländern. Sie sollten nicht banal werden und etwas Besonderes bleiben.

Die Welt: Was werden Sie tun, wenn Sie zurück nach Israel kommen?
Ben-Zeev: Ich werde meine Erinnerungen ein wenig ordnen und sammeln. Ich habe einige Angebote von großen Firmen und von einigen Universitäten. Aber vor allem will ich mich um meine Familie kümmern. Bevor wir hierherkamen, hatten wir uns gerade ein Haus in Tel Aviv gebaut. Nun will ich mich auf meine Familie konzentrieren, was ich in all den Jahren vernachlässigt habe. Um ein wenig von dem zurückzugeben, was sie mir in all den Jahren gegeben haben. Und ich werde sicher oft nach Berlin kommen.

Seiten: 1 2 3

Alle Beiträge der Kategorie Nachrichten ansehen »

VeranstaltungenÜberblick »

Juli 2024 | Siwan-Tamus | « »

  • So
  • Mo
  • Di
  • Mi
  • Do
  • Fr
  • Sa
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • 7
  • 8
  • 9
  • 10
  • 11
  • 12
  • 13
  • 14
  • 15
  • 16
  • 17
  • 18
  • 19
  • 20
  • 21
  • 22
  • 23
  • 24
  • 25
  • 26
  • 27
  • 28
  • 29
  • 30
  • 31
Alle Veranstaltungen »

Israelitische Kultusgemeinde
Kontakt
Israelitische Kultusgemeinde
München und Oberbayern K.d.ö.R.
St.-Jakobs-Platz 18
80331 München
Tel: +49 (0)89 20 24 00 -100
Fax: +49 (0)89 20 24 00 -170
E-Mail: empfang@ikg-m.de