Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern

Nachrichten

« Zurück

28. November 2011

Botschafter Yoram Ben-Zeev: „Shalom, Deutschland!“

„Zeit in Deutschland war eine überwältigende Erfahrung“

Der Botschafter des Staates Israel in Deutschland, Yoram Ben-Zeev, kehrt Anfang nächster Woche nach Israel zurück. Aus diesem Anlass hat er der Bild-Zeitung ein Interview gegeben, in dem er auch zu den vier Jahren seiner Amtszeit Stellung genommen hat. Auf die Frage, was er am meisten vermissen werde, antwortete er schlicht und einfach: „Deutschland“.

Er erklärte: „Botschafter in Berlin ist der schwierigste Job für einen israelischen Diplomaten. Man geht durch Berlin, und da ist das Gestapo-Hauptquartier. […] Aber ich habe immer versucht, auf die Zukunft zu blicken. Und wir haben viele Freunde hier gefunden, die es uns leicht gemacht haben.“

Zu den deutsch-israelischen Beziehungen äußerte er sich wie folgt: „Deutschland muss, muss, an der Seite Israels stehen. Darüber darf es nie eine Diskussion geben. Das verlangt die Geschichte, aber das verlangt auch unsere gemeinsame Zukunft. Für Israel ist die Existenz unseres Staates keine metaphorische, sondern eine sehr reale Frage. Deswegen muss Deutschland sich zu Israel bekennen, auch wenn wir in einigen politischen Fragen unterschiedlicher Auffassung sind.“

Der Botschafter äußerte sich auch zu der Entdeckung einer rechten Terrorzelle in Deutschland. Für ihn sei klar: „Deutschland sollte die Partei, in der diese radikale Weltsicht propagiert wird, verbieten. Ich bin der Meinung, Deutschland sollte die NPD verbieten.“

Das vollständige Interview können Sie nachlesen unter bild.de.

Yoram Ben-Zeev fordert NPD-Verbot

Für die Welt sprach Clemens Wergin mit dem israelischen Botschafter.

Nach der Nazi-Mordserie warnt Israels Botschafter Yoram Ben-Zeev vor der NPD. Die Demokratie müsse sich gegen diese anti-demokratische Partei zur Wehr setzen.

Welt Online: Herr Botschafter, Sie sind seit vier Jahren in Deutschland. Was waren die hellsten Momente in diesen Jahren in Deutschland und was die größten Enttäuschungen?
Yoram Ben-Zeev: Da erinnere ich mich vor allem an Momente, die mich bewegt haben. Zum Beispiel die Rede von Präsident Schimon Peres im Bundestag Anfang 2010. Als er den Kaddisch, das Totengebet für seinen Großvater sprach und alle Mitglieder des Bundestages aufstanden. Das hat mir einerseits das Herz gebrochen, weil er von den letzten Tagen erzählte, als sein Großvater ihm zum Bahnhof brachte. Er fuhr damals nach Israel, um gerettet zu werden. Und sein Großvater wurde nach Auschwitz geschickt. Peres weinte.

Direkt nach der Rede ging er mit Präsident Horst Köhler zum Gleis 17, um Kerzen anzuzünden für die Deportierten und Ermordeten. Man fühlt sich, als ob man auf einer Zeitwolke schweben würde. Sechs Überlebende standen damals zusammen mit Peres und Köhler, um die Kerzen anzuzünden. Und dann kamen junge Israelis und junge Deutsche dazu. Es war furchtbar kalt. Gebete wurden gesprochen. Man erinnerte sich an die furchtbare Zeit, für Juden und auch für viele Deutsche. Und dann kommen die Jungen dazu und reden über ihre gemeinsame Zukunft.

Ich erinnere mich auch daran, als ich mein Beglaubigungsschreiben bei Präsident Köhler abgab und er sich sehr viel Zeit nahm. Und er sagte zu mir, seine persönliche Verpflichtung aus der Geschichte sei: wann immer es einen Fall von Rassismus oder Antisemitismus gäbe, sei er bereit, mit mir dort hinzugehen, wo es passierte. Und solche Fälle gab es tatsächlich.

Welt Online: Das wären dann die Enttäuschungen.
Ben-Zeev: Ja, es gab auch dunkle Momente, als ich 5000 Nazis in Dresden marschieren sah. Als ich meine Beglaubigung beim Präsidenten abgab und wieder zurück ins Adlon kam, die klassische Station vor und nach dem Weg zum Präsidenten, wurde ich gleich von einer israelischen Radiostation interviewt. Der Journalist fragte mich, was ich empfinde.

Und ich sagte, wenn ich auf das Brandenburger Tor vor dem Adlon schaue, dann gilt mein erster Gedanke Moses Mendelssohn, dem es zu seiner Zeit nicht erlaubt war, die Stadt durch dieses Tor zu betreten. Aber lassen Sie mich über einen anderen positiven Moment sprechen.

Die Rede der Bundeskanzlerin vor der Knesset im Frühjahr 2008. Ich wusste nicht, wie man sie empfangen würde. Es hatte vorher in der Knesset eine Debatte gegeben und mehrere Abgeordnete hatten angekündigt, das Plenum verlassen zu wollen, wenn die Kanzlerin auf Deutsch sprechen würde. Aber am Tag selbst verließ dann niemand den Raum.

Welt Online: Sie hatte zwar auf Hebräisch begonnen, war dann aber ins Deutsche gewechselt.
Ben-Zeev: Ja, und dennoch blieben alle sitzen. Die Kanzlerin legte dann ein Zeugnis der großen Verantwortung Deutschlands für Israel und seine Sicherheit ab. Das war sehr wichtig. Ein anderer denkwürdiger Moment war, als ich von einer Infantrieschule der Bundeswehr eingeladen wurde.

Es war wieder sehr kalt und mein Gastgeber, der später Sprecher der Nato in Afghanistan wurde, sagte mir, dass sie zu einer Militärübung ausrücken würden, ob ich teilnehmen wollte. Klar, sagte ich. Und ich zog eine deutsche Uniform an und nahm an einer Militärübung gegen Terrorismus teil. Das Bild wurde auch in Israel veröffentlicht, worauf mein Telefon nicht mehr still stand.

Ein Anrufer war ein sehr wichtiger Minister. Er fragte mich, ob das ein angemessenes Verhalten für einen israelischen Botschafter sei. Ich sagte, ich weiß, dass viele das von einem emotionalen Standpunkt betrachten, was ich respektiere. Aber ich habe so viel zu tun mit dem deutschen Militär. Die Deutschen nehmen etwa an der Unifil-Mission im Libanon Teil und wir haben sehr gute Beziehungen.

Welt Online: Anders als Ihre Vorgänger kommen Sie nicht aus einer Familie mit europäischen Wurzeln oder Verbindungen zum Leiden im Holocaust. Hatten Sie deshalb einen anderen Blick auf Deutschland?
Ben-Zeev: Der Holocaust ist nicht nur eine persönliche Erinnerung, sondern auch eine kollektive. Selbst Juden die im Jemen oder in Marokko geboren wurden haben ein historisches Gedächtnis des Holocaust. Es ist wie bei der Pessach-Haggadah, die den Auszug aus Ägypten erzählt. Dort heißt es: „In jeder Generation soll der Mensch sich betrachten, als sei er selbst aus Ägypten ausgezogen.“

Für uns ist es heute so, als sei jeder von uns in Auschwitz gewesen oder aus Auschwitz ausgezogen. Das betrifft eben nicht nur die Opferfamilien oder die Familien von Überlebenden, es ist eine gemeinsame Erinnerung. Als ich das Bundesverdienstkreuz bekam habe ich auf Deutsch gesagt, dass ich nach Deutschland ohne Vorurteil kam. Ich wollte Deutschland sehen, wie es ist und die Deutschen wie sie sind. Kein Jude, kein Israeli und sicher kein israelischer Diplomat kann sich von den Bindungen der Geschichte befreien. In Deutschland habe ich sehr, sehr viele mit dem Holocaust verbundene Orte besucht.

Aber für mich bestand der Holocaust nicht in Familiengeschichten, die zuhause erzählt wurden. Ich bin in der sechsten Generation in Israel geboren. Unsere Familiengeschichten am Freitagabend drehten sich um den Unabhängigkeitskrieg, um Pioniere, weil ich aus einer Pioniersfamilie stamme – das waren meine Bezugspunkte. Manche Leute sagen mir, dass das für meine Arbeit hier ein Vorteil war.

Du hast die Deutschen für das genommen, was sie heute sind, sagen sie mir. Tatsächlich ist es aber so, dass alle Botschafter vor mir ganz besondere Qualitäten mitgebracht haben. Ich glaube es gibt nicht noch eine israelische Botschaft in der Welt, die so viele Persönlichkeiten als Botschafter hatten. Ich begegne hier in Deutschland immer noch Leuten, die mit Asher Ben-Natan oder den Botschaftern danach gesprochen haben und beeindruckt waren. Und das war für mich immer eine große Genugtuung.

Welt Online: Sie haben vorher über die junge Generation gesprochen. Bisher war es so, dass viele Deutsche nach Israel als Freiwillige kamen, sei es aus Neugier, sei es als Wiedergutmachung für den Holocaust. Sie haben dann vorgeschlagen, das zu einer Angelegenheit auf Gegenseitigkeit auszubauen und israelische Volontäre nach Deutschland zu schicken. Das stieß zunächst auf beiden Seiten auf Widerstand. Warum?
Ben-Zeev: Israelische Politiker fragten, warum wir das tun sollten. Selbst im deutsch-israelischen Zukunftsforum war das umstritten. Die Deutschen sagten, wir schulden Euch etwas, nicht umgekehrt. In Israel gab es Widerstand von prominenten Politikern, es war ein schwieriger Kampf. Aber ich denke, dass ich Recht hatte.

Wir haben vergangene Woche die zweite Gruppe israelischer Volontäre in Deutschland getroffen. Ich halte es für wichtig, dass diese Israelis das Bild eines anderen Deutschland mit nach Hause nehmen. Für mich ist das eines der besten Projekte, die ich in meiner Zeit als Botschafter angestoßen habe. Gegenseitigkeit ist es wichtig, damit die Beziehungen nicht nur auf politischer Ebene, auf der es auch Krisen geben kann, verankert sind, sondern auch auf der Ebene der Bevölkerungen.

Welt Online: Was sind die Gründe für Israelis, als Volontäre in einer deutschen sozialen Einrichtung arbeiten zu wollen?
Ben-Zeev: Zunächst einmal liegt der Freiwilligendienst in den israelischen Genen. Und dann ist da die deutsche Geschichte. Niemand kann sagen, egal ob alt oder jung, dass er wirklich erstanden hat, was zwischen 1933 und 1945 hier in Deutschland passiert ist. Wir wissen, was passiert ist, aber wir wissen immer noch nicht wirklich, warum.

Welt Online: Deutschlands Geschichte ist also weiter ein Rätsel.
Ben-Zeev: Ja, absolut. Auch in Israel. Wir wissen was passiert ist auf einer technischen Ebene, wir wissen von den Hasspredigten, der ideologischen Indoktrinierung. Wir wissen inzwischen auch, was wir tun können, um so etwas in Zukunft zu verhindern. Aber wenn ich aus dem Haus der Wannseekonferenz komme oder von der Gedenkstätte an Gleis 17 dann frage ich mich trotzdem immer wieder: Warum? Wie konnte das passieren?

Ich lese die Dokumente, ich kenne die Mechanik dieser Geschichte, weiß wer was zu wem gesagt hat. Und trotzdem bleibt da dieses: Wie konnte es nur geschehen? Wie konnte ein kultiviertes, gebildetes Volk, das einige der größten Philosophen hervorgebracht hat so etwas tun? Ich schaue mir die Humboldt-Universität an und frage mich, wie sie sich daran beteiligen konnte.

Eine Buchnation, die den Buchdruck erfunden hat. Und dann Bücher verbrannte. Deutschland ist immer noch mit Selbstbefragung beschäftigt. Das beeinflusst unsere Beziehung und es beschäftigt auch die Israelis weiterhin und ist zwischen uns präsent. Und es ist wichtig, dass wir uns gemeinsam weiter mit diesen Fragen beschäftigen.

Welt Online: Eine der israelischen Volontärinnen erzählte mir, dass Deutschland für sie immer das alte Nazideutschland bedeutet hatte. Dann kam sie an die Universität in Jerusalem und unter ihren Kommilitonen war Deutschland, besonders Berlin, plötzlich der Ort, der hip war, den man gesehen haben musste. Wie kam es zu dieser Veränderung des Deutschlandbildes?
Ben-Zeev: Ja, das ist ein weiterer Aspekt, warum israelische Volontäre nach Deutschland kommen, insbesondere nach Berlin. Die Stadt wurde in den vergangenen fünf Jahren eine Art Magnet für Israelis. Meine Frau hat dafür eine Erklärung. Sie sagt, weil Berlin nicht pompös ist, weil es für alle etwas bietet. Für Reiche genauso wie für Arme. Für Studenten und Frauen, für jung und alt, für Sportbegeisterte genauso wie für Kulturbeflissene. Ein bisschen wie Tel Aviv, das auch sehr vielfältig ist. Und Israelis werden hier auch willkommen geheißen.

Ich selbst etwa bin ein Opernfan. Und manchmal sehe ich dort Touristen aus Israel, die nur für ein Wochenende nach Berlin kommen und mehrere Opern oder Konzerte anhören und dann zurückfliegen. Das hat aber auch einen tieferen Hintergrund. Amos Oz hat einmal darüber geredet, als er vor ein paar Jahren in den Springer-Verlag eingeladen war. Er sprach über seine Mutter und seine Familie. Sie lebten in Jerusalem und seine Mutter, die später Selbstmord verübte, öffnete jeden Morgen in Geula ihr Fenster und erwartete, einen Fluß zu sehen und den Wald.

Das war typisch für viele aus Europa stammende Juden, aber besonders für die Jeckes. Oz sagte dann, jüdische Kultur trägt deutsche Gene in sich und deutsche Kultur trägt jüdische Gene. Die deutsche Kultur würde ohne das Judentum anders aussehen und umgekehrt genauso. Als wir später beim Abendessen zusammensaßen sagte ich zu ihm: Amos, ich war geschockt von dem, was Du da gesagt hast und ich glaube nicht, dass ich mit Dir übereinstimme. Seitdem sind drei Jahre vergangen, und heute stimme ich ihm zu.

Ich habe dazugelernt. Auch das spielt eine Rolle, wenn nun Gruppen von Israelis nach Deutschland kommen. Noah Flug, der kürzlich verstorbene Präsident des Internationalen Auschwitzkomitees und der Vorsitzende der Organisationen der Holocaustüberlebenden in Israel bat seinen Enkel, nach Berlin zu gehen und Deutsch zu lernen. Und nun lebt er hier. Das zeigt die Bindungen zwischen beiden Kulturen.

Welt Online: In diesem Jahr sorgte eine Studie für Aufregung, die sich mit Antisemitismus in der Linkspartei beschäftigte. Antiisraelische Einstellungen die die Schwelle zum Antisemitismus überschreiten sind immer weiter verbreitet in einem Teil der europäischen Linken. Und auch unter muslimischen Einwanderern in Europa ist Abneigung gegen Juden und Israel weit verbreitet. Nun regt aber auch der Rechtsradikalismus wieder sein Haupt in Deutschland. Die bekannt gewordenen Morde richteten sich bisher gegen Muslime, aber diese Kreise sind auch antisemitisch aufgeladen. Ist es für Juden in Europa heute wieder gefährlicher als noch vor einigen Jahren?
Ben-Zeev: Ja, ich glaube schon. Natürlich gibt es einen Unterschied zu den 30er und 40er-Jahren. Damals waren Juden von Regierungen und Institutionen bedroht. Solchen institutionalisierten Antisemitismus gibt es heute nicht mehr. Die Behörden in der Bundesrepublik gehen mit Entschlossenheit gegen Antidemitismus vor.

Doch die Debatte über Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft geht weiter – und auch in der Linkspartei. Aber wir sollten uns tatsächlich intensiver damit beschäftigen, wie es dazu kommen konnte, dass das einzige Land im Nahen Osten mit sozialen und humanitären Werten wie denen in Europa die Linke verloren hat. Und auf der anderen Seite stellt sich die Frage genauso, wie Gysi es im Bundestag gesagt hat: Wie konnte es dazu kommen, dass die Linke Israel verloren hat?

In der Linken findet inzwischen eine tiefgehende Seelenerforschung statt, die die Partei manchmal auch spaltet. Aber es geht auch um viel schlimmere Entwicklungen als diese. Ich war schon überrascht, als ich in Dresden so viele Nazis marschieren sah. Aber auf der anderen Seite habe ich auch viele gesehen, die gegen die Nazis demonstriert haben.

Das war viel beeindruckender als die Nazis. Es gibt also Kontrollinstanzen. Manche fragen mich, ob ich Angst hätte. Natürlich habe ich Angst – um Deutschland. Und da kommen wir zu der Debatte über das Verbot der NPD.

Welt Online: Befürworten sie ein Verbot?
Ben-Zeev: Ja, wir haben so etwas ja auch in Israel gemacht. Als die Partei von Rabbi Kahane die Flagge des Rassismus schwenkte und radikale Anti-Islampositionen vertrat, wurde ihr vom Obersten Gerichtshof verboten, weiter bei Wahlen anzutreten. Einmal hatte sie das zuvor getan und hatte dann in der Knesset ihr wahres Gesicht gezeigt.

Das reichte. Ich glaube also, dass die Demokratie sich verteidigen sollte und Parteien wie der NPD nicht erlauben sollte, die Demokratie zu gefährden.

Welt Online: Als sie nach Deutschland kamen war die Regierung von Ehud Olmert in Folge der Annapolis-Konferenz gern gesehen in der internationalen Diplomatie, weil der Friedensprozess vorankam. Die heutige Regierung ist für einen Diplomaten weit schwerer zu verkaufen. Belastet Sie das?
Ben-Zeev: Ja, absolut. Ich kam kurz vor Annapolis und mein erstes Interview in Deutschland war an dem Tag, an dem die Initiative verkündet wurde. Ich hatte vorher selbst mit dem Friedensprozess zu tun gehabt und ich glaubte damals, dass sich nach der langen dunklen Periode seit Camp David neue Horizonte öffneten und der politische Prozess wiederbelebt werden könnte. Wir müssen uns jedoch daran erinnern, dass Friedensverträge mehr als einen Partner benötigen. Es gibt eine Tendenz, stets die israelische Seite zu kritisieren.

Das geschieht manchmal zu Recht, aber meistens eben auch nicht. Denn seit dem offiziellen Beginn des Konflikts im Jahr 1948 haben war wir zwar viele Fehler gemacht und machen sie noch immer, aber die Palästinenser haben es nie geschafft, sich zu einem Abkommen durchzuringen ähnlich wie es Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat oder Jordaniens König Hussein getan haben. Und das wäre möglich gewesen. Ich bin selbst Zeuge einiger dieser ausgelassenen Chancen gewesen.

In den letzten 20 Jahren haben wir einen dramatischen Wandel in den ideologischen Einstellungen der führenden politischen Kräfte in Israel gesehen. Das hat mit dem mutigen Schritt Begins gegenüber Sadat angefangen. Das war nicht einfach für einen Mann, der Jahrzehntelang etwas anderes gesagt hatte und dann, als er an die Macht kam meinte, das Land müsse seine Positionen überdenken.

Er sagte, Israel müsse unkonventionell denken, und er hat es dann auch getan.

Welt Online: So wie später Ariel Scharon.
Ben-Zeev: Ja. Und sogar Benjamin Netanjahu 1997 in Sachen Hebron. Das hat ihn dann die Unterstützung der Partei und das Amt gekostet. Oder auch Tzipi Livni. Sie kommt ursprünglich aus einem rechtskonservativen Umfeld, ähnlich wie einst Ehud Olmert. Wenn man Aussagen von ihr von vor 15 Jahren mit heute vergleicht sieht man, was für eine Entwicklung sie durchgemacht hat.

All diese Politiker haben ihre Ansichten den Realitäten angepasst. Und das war der Beginn eines neuen Paradigmas. Unglücklicherweise habe ich keinen einzigen arabischen Führer gesehen, der ähnliches vollbracht hat. Vielleicht kommt Mahmud Abbas dem nahe, aber nur in seiner Bereitschaft, zu verhandeln, nicht wenn es darum geht, alte Positionen aufzugeben ähnlich wie es Begin, Scharon, Olmert und andere getan haben.

Als sie ihre Bereitschaft erklärt haben, Teile der Westbank aufzugeben hat das ihre Herzen in Stücke gerissen, weil sie mit der Überzeugung aufgewachsen waren, dass das ein Teil des heiligen Landes war, welches den Juden von Gott gegeben war. Am Ende seiner Amtszeit war Ehud Olmert sogar bereit, Jerusalem zu teilen. Er war sehr mutig und hatte verstanden, dass sich die Zeiten geändert hatten und dass er sich deshalb auch ändern musste.

Welt Online:Das war nach dem Annapolis-Gipfel
Ben-Zeev: Ja, das waren wunderbare anderthalb Jahre als Botschafter. Israel war das Wunderkind. Und dann kamen Netanjahu und Lieberman und die Politik änderte sich. Sie hatten das vorher sehr deutlich gemacht und verfolgen nun mehr oder weniger die Politik, die sie angekündigt hatten. Sie wollten Jerusalem stärken und die Siedlungen. In einer Demokratie ist das so, auch in Europa.

Wenn ein Politiker im Wahlkampf sehr klare Ansagen macht dann erwarten die Wähler, dass er dann auch dazu steht. Ist das einfach für mich? Nein. Denn die politische Führung in Deutschland und auch die Medien, eagl ob sie Israel eher mit Sympathien gegenüberstehen oder nicht, mögen die Siedlungspolitik nicht und sie mögen auch nicht, was das Fernsehen ihnen aus Gaza zeigt.

Das macht mein Leben als Botschafter nicht einfacher, aber darum geht es ja auch nicht. Ich versuche so ehrlich zu sein wie möglich und versuche den Entscheidungsträgern hier zu erklären, warum wir dies oder das tun. Meine Türen sind immer offen und ich habe auch nie eine negative Rückmeldung bekommen wenn ich darum gebeten habe, den einen oder anderen Minister zu treffen.

Welt Online: Ehud Olmert hatte sich in den Jahren als Premier international einen gewissen Kredit erarbeitet. Das scheint bei Netanjahu nicht der Fall zu sein.
Ben-Zeev: Ehud Olmert und Zipi Livni hatten jahrelang gegenüber den Partnern auf das Problem Gaza und den anhaltenden Raketenbeschuss hingewiesen und gefragt, was sie tun sollten. Denn nichts hatte geholfen, keine Gespräche, kein Abwarten. Als Israel dann gezwungen war zu handeln stellten sich Sarkozy, Berlusconi, Brown und Merkel hinter Israel.

Das war auch das Ergebnis von starken und guten Beziehungen zwischen den führenden Politikern. Es sind auch immer persönliche Aspekte dabei.

Welt Online: Das hatte aber auch damit zu tun, dass sie Olmert geglaubt haben, dass er auch wirklich Frieden meint, wenn er Frieden sagt.
Ben-Zeev: Ja, das spielte auch eine Rolle. Ich erinnere mich daran, dass Olmert und Livni bei Merkel und Steinmeier nachfragten, ob sie nicht eine kleine Konferenz in Berlin ausrichten könnten, weil es Schwierigkeiten mit den Palästinensern gab. Die Kanzlerin sagte zu. Einige Monate später sollte das stattfinden. Das war dann aber schon inmitten der heißen Phase des Wahlkampfes in Israel.

Und Tzipi Livni konnte schlicht keinen Flug nach Berlin finden, der ihr erlaubt hätte, trotzdem wichtige Wahlkampftermine in Israel wahrzunehmen. Dann rief mich Steinmeier an und sagte: Du musst Tzipi nach Berlin bekommen. Ich sagte ihm: Sie hat einen wichtigen Termin und Du weißt, dass sie um ihr politisches Überleben kämpft. Kurz gesagt: Wir haben gemeinsam eine Lösung gefunden, sie nach Berlin zu bringen. Sie traf Fajjad, Condoleezza Rice, Steinmeier und Merkel und kam zurück nach Israel.

Welt Online: Und dann hat sie die Wahlen einerseits gewonnen, und gleichzeitig die Macht verloren.
Ben-Zeev: Ja, aber es zeigt, wie eng die Beziehungen waren. Das ist eine Geste, die man nicht oft erlebt. Und sicher nicht in der neuen Konstellation.

Welt Online: Die Beziehung ist im Moment also nicht mehr so eng wie früher.
Ben-Zeev: Die Beziehungen sind sehr eng und es gibt viel Austausch. Aber natürlich gibt es mit der neuen israelischen Regierung auch Meinungsverschiedenheiten. Das ist ja kein Geheimnis.

Welt Online: Hat sich das Verhältnis zwischen Angela Merkel und Benjamin Netanjahu also abgekühlt?
Ben-Zeev: Persönliche Beziehungen sind wichtig, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Es kommt natürlich auch darauf an, dass man zu seiner eigenen Politik auch steht. Die Beziehungen zwischen Olmert und Merkel waren auch deshalb so gut, weil Merkel Olmerts und Livnis Politik der Annäherung an die Palästinenser stark unterstütze.

Das macht es natürlich einfacher, sich gegenseitig anzurufen. Es gab Zeiten, da haben sie fast jeden Tag miteinander telefoniert. Und es gab auch nichts, keine Geheimdiensterkenntnisse, die Livni und Olmert nicht mit Merkel und Steinmeier geteilt hätten. Natürlich ist das einfacher, wenn es eine gemeinsame Agenda gibt und beide Seiten die Bedürfnisse des jeweils anderen verstehen. Dann kommt auch die Kommunikation auf eine andere Ebene.

Welt Online: Auch in Demokratien kommen Beamte zuweilen in einen Konflikt geraten zwischen ihren eigenen Überzeugungen und dem, was sie an Regierungspolitik vertreten müssen. Gab es einen Punkt, an dem sie glaubten, die Politik ihrer eigenen Regierung nicht mehr vertreten zu können?
Ben-Zeev: Der Premierminister und der Außenminister wissen genau, wo ich politisch stehe. Und sie haben nie etwas dazu gesagt. Das ist Teil der israelischen Demokratie. Natürlich würde ich meiner Regierung nicht öffentlich widersprechen. Und so lange ich glaube, Brücken schlagen zu können, kann ich von Nutzen sein. Wenn ein Diplomat anfängt, seine Regierung öffentlich zu kritisieren, sollte er besser nach Hause fahren. Das würde ich nicht tun.

Es ist mir aber auch in früheren Positionen nie passiert, dass meine Überzeugungen meine Karriere verlangsamt hätten, weil meine Ansichten denen der Linken oder der Rechten widersprachen. Solche Dinge werden nicht einmal diskutiert. Ich habe ständig Diskussionen mit Lieberman. Und das muss man sowohl Lieberman als auch dem Premierminister zugute halten: Sie haben mir das nie zum Vorwurf gemacht. Das hat auch mit dem demokratischen Geist in Israel zu tun. Die Menschen haben einfach unterschiedliche Ansichten, das heißt noch lange nicht, dass sie unter dieser oder jener Regierung ihrem Land nicht dienen können.

Welt Online: Sie verfolgen internationale Angelegenheiten seit Jahrzehnten. Wächst die Isolierung Israels in den vergangenen Jahren?
Ben-Zeev: Nein. Natürlich haben wir bessere Zeiten gesehen. Als wir das Oslo-Abkommen im Garten des Weißen Hauses mit den Palästinensern schlossen gab es eine lange Reihe von internationalen Politikern, die Worte mit Yitzchak Rabin wechseln wollten. Besonders auch aus muslimischen Ländern.

Eine seiner ersten Reisen danach führte ihn nach Indonesien. Das ist jetzt natürlich nicht denkbar. Damals gab es einen Frühling und viel guten Willen. Wie erneut nach dem Gipfel von Annapolis. Aber man muss sich natürlich auch fragen: Verfolgt man eine gewisse Politik, nur um international gemocht zu werden?

Inzwischen sind manche Kollegen in europäischen Ländern und auch in Amerika manchmal mit einem Hass und antisemitischer Verhaltensweisen konfrontiert, die mir in Deutschland nicht begegnet sind. Egal wo ich gesprochen habe, ich bin nie von der Bühne gebuht worden. Leute haben andere Ansichten als ich und sie diskutieren mit mir. Aber ich bin nie mit Dingen konfrontiert worden wie sie meinen Kollegen in Großbritannien oder Italien begegnen.

Welt Online: Die einseitige Kritik an Israel hat international zuweilen antisemitische Untertöne, weil an Israel Standards angelegt werden wie an kein anderes Land der Welt. Haben also die in Israel Recht die sagen, es ist ganz egal was Israel tut, es wird sowieso gehasst werden?
Ben-Zeev: Das glaube ich nicht. Dieses Argument akzeptiere ich nicht. Israel muss tun, was es tun muss. Es ist eine moralische Gesellschaft, auch ein Vorbild für viele andere Länder. Für mich ist das eine zu einfache Ausrede wenn man Kritik an dem, was wir tun, als Antisemitismus abtut. Manchmal trifft das natürlich zu.

Aber es ist falsch, Leuten, die nicht mit uns bereinstimmen mit diesem Argument zu kommen. Das verschließt Türen, und deshalb habe ich das in den vier Jahren hier auch nie angebracht. Natürlich erlebe ich Antisemitismus und ich argumentiere dagegen an. Aber ich würde nie sagen, dass Deutschland oder ein anderes Land eine gewisse Position aus antisemitischen Beweggründen bezieht.

Welt Online: Die deutsch-israelischen Beziehungen haben sich in den vergangenen 60 Jahren so positiv entwickelt, dass man immer noch von einem Wunder sprechen muss. Was sind ihre Hoffnungen und ihre Befürchtungen für die Zukunft der Beziehungen?
Ben-Zeev: Zuerst die Befürchtungen. Ich bin schließlich Israeli. Steinmeier sagte mir einmal: Ihr lebt in einer Bunker-Mentalität. Darauf habe ich geantwortet: Wir leben in einer Bunker-Realität. Ich denke wir sollten härter arbeiten um Berührungspunkte zwischen beiden Ländern zu finden, nicht nur zwischen führenden Politikern. Eine Agenda für beide Gesellschaften zu finden ist sehr wichtig. Das ist aber schwierig.

Hier sind es 80 Millionen Leute, dort sind es 8 Millionen. Die Deutschen beschäftigen sich mit Europa, während ein israelischer Premier jeden Morgen aufwacht und bewusst oder unbewusst die Frage stellt, was kann das Leben meines Landes gefährden? Wir haben keinen Spielraum für Fehler. Aber es gibt auch viele positive Dinge, wie die Austauschprogramme. In diesem Bereich bewundere ich das Engagement von Guido Westerwelle, der zusammen mit Avigdor Lieberman eine Austauschagenda erstellt hat. Wir arbeiten etwa in Afrika zusammen. Dann eine Initiative, die noch auf Steinmeier zurückgeht.

Er schlug einen Austausch zwischen Schriftstellern vor. Mehr als 70 haben das jeweils andere Land besucht und Veranstaltungen bestritten. Wir kooperieren im High-Tech-Bereich. Jede israelische Regierung wird alles tun, um die Beziehungen mit Deutschland und den Deutschen zu vertiefen, zu beschleunigen und zu erweitern. Deutsche sind sehr willkommen in Israel. Und wenn man heute auf den Straßen von Berlin läuft, hört man immer häufiger Hebräisch. Hätten Sie sich das vor 70 Jahren vorstellen können?

Welt Online: Sie haben nicht über Ihre Befürchtungen gesprochen.
Ben-Zeev: Ich sehe nicht, dass es einen Paradigmenwechsel zwischen den Ländern geben könnte. Wenn ich eine Angst habe dann die, dass die Beziehungen in Klischees und in Normalität abgleiten. Die Wurzeln der Beziehungen sind sehr stark und sie können nicht so sein, wie mit anderen Ländern. Sie sollten nicht banal werden und etwas Besonderes bleiben. Was dafür wichtig ist sind anhaltende enge Beziehungen zwischen den Völkern und den demokratischen Institutionen beider Länder.

Welt Online: Was werden sie an Berlin vermissen?
Ben-Zeev: Wir lieben Berlin und werden die Stadt und sein Kulturleben sehr vermissen, die Oper, die Konzerte. Und wir haben sehr viele Freunde hier gefunden, die ein Teil unseres Lebens geworden sind. Manche davon sind in hohen Positionen, aber andere sind einfach Menschen, die wir irgendwo getroffen haben. Etwa in der Praxis eines Arztes. Oder ein Maler, der zu einem Teil unserer Familie geworden ist.

Ich habe in vielen Orten der Welt gedient, aber ich glaube nicht, dass es noch einen Ort auf der Welt gibt, in dem man Salon-Diskussionen und einen intellektuellen Austausch so genießen kann wie in Berlin. Wir selbst haben in so vielen Diskussionen teilgenommen auch in diesen Räumen. Meine vier Jahre hier waren die härtesten, herausforderndsten und gleichzeitig die befriedigsten Jahre meines Berufslebens. Und dafür bin ich dankbar. Als ich kam dachte ich nicht, dass wir in dieser Weise ein Teil des sozialen Lebens der Stadt werden würden.

Viele Medien wollten ständig irgendwelche Stellungnahmen von mir. Solch eine Plattform zu haben ist sehr wichtig für einen israelischen Diplomaten. Angela Merkel hatte mich im Jahr 2008 eingeladen, zusammen mit ihr vor der CDU einen Überblick über die deutsch-israelischen Beziehungen zu geben.

Ich glaube, dass kein israelischer Botschafter außerhalb Deutschlands solch eine Ehre erhält. Aber mit solchen Privilegien ist natürlich auch eine große Verantwortung verbunden. Man muss vorsichtig sein und versuchen hart zu arbeiten und die Partner in Berlin nicht zu enttäuschen. Man sollte nicht übertreiben und die Grenze dessen nicht überschreiten, was angemessen ist.

Welt Online: Was werden Sie tun, wenn Sie zurück nach Israel kommen?
Ben-Zeev: Ich werde meine Erinnerungen ein wenig ordnen und sammeln. Ich habe einige Angebote von großen Firmen und von einigen Universitäten. Aber vor allem will ich mich um meine Familie kümmern.

Bevor wir hier herkamen hatten wir uns gerade ein Haus in Tel Aviv gebaut. Nun will ich mich auf meine Familie konzentrieren, was ich in all den Jahren vernachlässigt habe. Um ein wenig von dem zurückzugeben, was sie mir in all den Jahren gegeben haben. Und ich werde sicher auch oft nach Berlin kommen.

Seiten: 1 2 3

Alle Beiträge der Kategorie Nachrichten ansehen »

VeranstaltungenÜberblick »

Juli 2024 | Siwan-Tamus | « »

  • So
  • Mo
  • Di
  • Mi
  • Do
  • Fr
  • Sa
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • 7
  • 8
  • 9
  • 10
  • 11
  • 12
  • 13
  • 14
  • 15
  • 16
  • 17
  • 18
  • 19
  • 20
  • 21
  • 22
  • 23
  • 24
  • 25
  • 26
  • 27
  • 28
  • 29
  • 30
  • 31
Alle Veranstaltungen »

Israelitische Kultusgemeinde
Kontakt
Israelitische Kultusgemeinde
München und Oberbayern K.d.ö.R.
St.-Jakobs-Platz 18
80331 München
Tel: +49 (0)89 20 24 00 -100
Fax: +49 (0)89 20 24 00 -170
E-Mail: empfang@ikg-m.de