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27. Juni 2012

Bayern will mit islamischer Schattenjustiz aufräumen

Von Peter Issig, erschienen auf Welt Online. Vor allem Frauen leiden unter den selbst ernannten Friedensrichtern und patriarchalischen Imamen. Bayerns Justizministerin Beate Merk will jetzt Licht in das Dunkel der Scharia-Gerichte bringen.

Imam Sidigullah Fadai kümmert sich in München um die staatsbürgerliche Weiterbildung von Imamen. Er hält es für ein Gebot des Islam, sich an die Rechtsordnung des Landes zu halten, in dem man lebt.

Er hat aber auch einen Einblick in das, was in den Moscheen geschieht und wer dort oft das Sagen hat. Die rechtsstaatliche Grundordnung ist hier nicht immer das Maß der Dinge: „Insider sagen, dass es Paralleljustiz in jedem Bereich des Lebens gibt“, sagt Fadai. Vor allem, wenn es um Familien- und Eheprobleme geht, sind Sprüche der Imame oder der selbst ernannten Friedensrichter, viel öfter die Richtschnur des Handelns.

Fadai selbst kennt junge muslimische Frauen, die geschieden sind und gerne wieder heiraten würden es aber nicht dürfen, weil das nicht in das Rechtsverständnis der Geistlichen passt. Oder es werden in den Hinterzimmern Geld-Streitigkeiten gelöst, die im Interesse aller Beteiligten nicht vor einem bayerischen Amtsgericht verhandelt werden sollten.

Etwa, wenn ein Schwarzarbeiter von seinem Auftraggeber den ausstehenden Lohn „einklagen“ will. Dann wird der Friedensrichter angerufen. „Der Staat hat hier jedenfalls kein Rechtsmonopol“, sagt Imam Fadai.

Dieses ausschließliche Recht will Bayerns Justizministerin Beate Merk aber durchsetzen. „Eine solche Paralleljustiz, die unser Rechtssystem unterläuft, darf nicht hingenommen werden“, sagt Merk. Scharia-Gerichte sollen nicht geduldet werden.

Selbsternannte Friedenrichter keine Seltenheit

Merk hat bei Staatsanwaltschaften, Anwälten, Integrationsbeauftragten und Menschen, die sich in Zuwanderer-Gemeinschaften auskennen, nachgefragt. Die Rückmeldung ist alarmierend: Selbsternannte Friedensrichter oder Imame, die an den geltenden Gesetzen vorbei Recht sprechen, sind keine Seltenheit, aber schwer zu fassen.

Soweit aber Fälle einer „Paralleljustiz“ bekannt geworden sind, wurden grobe Verstöße gegen die geltende Rechtsordnung festgestellt. Berichtet wurde dem Ministerium von Fällen, in denen „Friedensrichter“ die Strafverfolgung verhinderten, indem sie die betroffenen Konfliktparteien beeinflussten.

Opfer und Täter, die vor der Polizei noch umfassend ausgesagt hatten, schwiegen plötzlich vor Gericht oder sagten falsch aus, weil der „Friedensrichter“ die Angelegenheit längst geregelt hat. Grund für das Schweigen ist in solchen Fällen meist eine „Friedensvereinbarung“, die vorsieht, den Täter in einem Strafverfahren durch Schweigen oder Falschaussagen zu entlasten. Im Gegenzug wird für das Opfer ein Schmerzensgeld ausgehandelt.

Und auch der Imam geht dann nicht leer aus. Spenden werden gern angenommen. „Für die Imame, die oft keine andere Ausbildung haben, tragen diese Verhandlungen zu einem wesentlichen Teil auch zum Einkommen bei“, sagt Bayerns Integrationsbeauftragter Martin Neumeyer.

Es sind vor allem zivilrechtliche Probleme, die so „gelöst“ werden, Familienangelegenheiten, zum großen Teil Eheprobleme. Vor allem für Frauen besteht dabei die Gefahr, dass sie dann nicht zu ihrem Recht zu kommen. Beispielsweise wenn sich Friedensrichter auf traditionelles islamisches Recht berufen oder sich von patriarchalisch ausgeprägten Rechts- und Moralvorstellungen leiten lassen.

„Die Schlichter sind immer Männer und die urteilen männerfreundlich“, sagt Joachim Wagner, der ein Buch über „Richter ohne Gesetz“ und die islamische Paralleljustiz geschrieben hat – und die bayerische Justizministerin alarmierte.

Die Aufklärung ist schwierig

Wie oft Imame oder Friedensrichter in Bayern aktiv werden, ist allerdings unklar. Gesicherte Zahlen liegen dem bayerischen Justizministerium nicht vor. Die Aufklärung sei schwierig, weil alle Beteiligten darauf achteten, heimlich vorzugehen. Trotzdem – und vor dem Hintergrund anonym gemachter Aussagen – sei davon auszugehen, dass es jedenfalls eine nicht zu vernachlässigende Dunkelziffer gibt, heißt es im Justizministerium.

„Es mündete noch kein Fall in ein förmliches Ermittlungs- der Strafverfahren“, sagt der Münchner Generalstaatsanwalt Christoph Strötz. Dennoch ist auch er überzeugt, dass es diese Schattenjustiz in den unterschiedlichsten Ausprägungen gibt. „In welcher Form auch immer sie in Erscheinung tritt, hier darf es keine Toleranz geben“, sagt Strötz.

Er rät deshalb seinen Staatsanwälten genau hinzuschauen, wenn Zeugen plötzlich schweigen oder wenn Strafanzeigen zurückgezogen werden. Deswegen sollten Zeugen sehr schnell und in Anwesenheit eines Ermittlungsrichters vernommen werden, auch Sachbeweise sollten sorgfältig gesichert werden.

Um das Problem zu lösen seien keine Gesetzesänderungen notwendig, sagt Merk. Sie will mit einer Aufklärungskampagne für das Thema sensibilisieren. „Wir wollen Vertrauen schaffen und nicht über, sondern mit den Betroffenen reden.“

Bereits Ende 2011 wurde ein „Runder Tisch Paralleljustiz“ einberufen. Teilnehmer sind neben Vertretern der Gerichte und Staatsanwaltschaften auch Islamwissenschaftler Mathias Rohe von der Universität erlangen und der Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, Martin Neumeyer. Auch Vertreter der Polizei, der Anwaltschaft, der Landeshauptstadt München und der Soziale – wie des Kultusministeriums waren beteiligt.

Migranten fühlen sich vom Staat drangsaliert

Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Frage vertrauensbildenden Maßnahmen. Um zu verhindern, dass rechtsstaatlich problematische Parallelstrukturen in Anspruch genommen werden soll über die Vorteile des geltenden Rechtssystems informiert und für Vertrauen in unsere Rechtsordnung geworben werden. Das erfordert viel Überzeugungsarbeit: „Migranten fühlen sich vom Staat oft nicht richtig verstanden. Sie haben eher das Gefühl, vom Staat drangsaliert zu werden, als dass er hilft“, sagt Mathias Rohe, Islamwissenschaftler an der Uni Erlangen, der das Justizministerium berät.

Eine zweite Arbeitgruppe verfolgt das Ziel, Richter und Staatsanwälte für das Thema zu sensibilisieren und bietet interkulturelle Fortbildung an.

Die CSU-Politikerin betont zwar, dass es bei der Paralleljustiz nicht um ein religiöses oder islamspezifisches Problem handle, sondern um ein Integrationsproblem. Trotzdem konzentrieren sich die Bemühungen der bayerischen Justiz auf die muslimische Gemeinde.

Aber auch dort wittert sie keine gezielten Aktivitäten gegen den Rechtsstaat. Vielmehr seien Unwissenheit und Informationsdefizite dafür verantwortlich, dass Imame nach eigenem Gutdünken Recht sprechen. Um nicht in den Verdacht zu geraten, sie betreibe politische Scharfmacherei, wie man es von einer CSU-Politikerin erwarten könnte, hat sie auch ein positives Beispiel parat: So konnte ein Imam aus München, einen jungen Mann aus seiner Gemeinde davon abbringen, seine Frau umzubringen, weil sie sich westlich kleide und angeblich andere Männer verführe.

Scheidung erspart Gefängnis

Der Imam klärte den Mann auf, dass er sich in Deutschland auch einfach scheiden lassen könne. Das erspare ihm das Gefängnis und rette Leben. Der Man folgt dem Rat. „Das zeigt, wie einfach es auch sein kann, Migranten von den Vorteilen des Rechtsstaats zu überzeugen“, sagt Ministerin Merk.

Imam Fadai kennt aber auch noch eine ganz andere Problematik, die nichts mit Zuwanderung zu tun hat: Oft genüge es, ein paar Suren des Korans zu kennen und eine gute Stimme zu haben, um als Imam zu gelten. Deswegen gebe es auch viele Männer, die in Deutschland aufgewachsen sind, die sich als Geistliche ausgeben und im Netz als „Internet-Imame“ aktiv werden. „Diese Problematik kommt noch auf uns zu“, sagt Fadai.

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