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15. März 2012

NPD-Verbotsverfahren auch ohne V-Leute ungewiss

Von Christoph Grabenheinrich, SR, ARD-Hauptstadtstudio, erschienen auf tagesschau.de. Nach den Einlenken der Innenminister der Union werden wohl bald alle V-Leute aus der NPD-Führungsebene abgezogen. Auch nach dem Überwinden dieser Hürde ist aber offen, ob es zu einem neuen NPD-Verbotsverfahren kommt.

Der Abzug von V-Leuten aus der NPD-Führungsebene ist eine notwendige Voraussetzung für ein neuerliches NPD-Verbotsverfahren – mehr erst mal noch nicht. Ob es dazu kommen wird, bleibt trotzdem weiter offen. Allerdings wird durch das Einlenken der Union die maßgebliche Hürde für ein Verbotsverfahren genommen. 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht den massiven Einsatz von V-Leuten bei der NPD zum Anlass genommen, das beantragte Parteiverbot gar nicht erst zu prüfen – eine böse Schlappe für die Demokratie.

Schünemann: V-Leute nicht komplett abziehen

Niedersachsens Innenminister Schünemann will nicht alle V-Leute aus der NPD abziehen. „Das Bundesverfassungsgericht hat nur von der Führungsebene gesprochen und da ist es auch durchaus möglich“, erklärt der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann. „Wir können allerdings nicht komplett die V-Leute aus der NPD und auch nicht aus der rechten Szene abziehen. Insofern müssen wir sehen, dass wir durchaus nicht blind werden, wir müssen die Informationen auch weiterhin haben.“ Schünemann hatte sich lange gegen die Abschaltung der V-Leute gewehrt. Laut Angaben aus Sicherheitskreisen liegt deren Zahl derzeit im oberen zweistelligen Bereich, somit höher als 2003. Darunter sei aber nur ein knappes Dutzend führender NPDler. Nur die sollen offenbar schon bald abgeschaltet werden.

„Müssen Verbindung zwischen Terroristen und NPD nachweisen“

In vielen SPD-geführten Bundesländern ist das bereits geschehen. Auch das unionsgeführte Sachsen erklärt, keine V-Leute in der Führungsebene der Partei mehr platziert zu haben. Für ein Verbotsverfahren reicht das aber noch nicht.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wird nicht müde zu betonen, der NPD müsse eine aggressiv-kämpferische Grundhaltung nachgewiesen werden. Viel hänge dabei auch von den aktuellen Ermittlungen zur Nazi-Terrorzelle NSU ab. „Wenn es so ist, dass wir nachweisen können, dass es eine Verbindung zwischen den Terroristen und der NPD dergestalt gibt, dass dieses der NPD zuzurechnen ist, dass man sagen kann: ‚typisch für diese Partei‘, dann hätte man eine sehr klare Beweislage, um zu sagen, diese Partei ist aggressiv, die muss verschwinden“, betont Friedrich. „Wenn das in diesem Umfang nicht möglich ist, dann müssen wir im Einzelnen nachweisen, wo und an welchen Stellen Mitglieder dieser Partei gegen unseren Rechtsstaat kämpfen.“

Union und SPD uneins

Im Innenausschuss des Bundestages habe es zuletzt geheißen, dass nicht ohne Weiteres gezeigt werden könne, dass die NSU der militante Arm der NPD gewesen sei, mahnt der Ausschussvorsitzende Wolfgang Bosbach von der CDU. Die SPD drängt trotzdem weiter auf ein Verbotsverfahren. Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz erklärt: „Wir haben bei dem NSU-Komplex Verbindungen zur NPD feststellen können, wir haben 24 Haftbefehle durchgeführt, gegen das Aktionsbüro Mittelrhein, die in einem sogenannten braunen Haus zu Hause waren. Und auch dort haben wir festgestellt, dass es viele Verflechtungen zur NPD gibt.“

Genug Beweismaterial ohne V-Leute?

Sein einstiger Berliner Amtskollege und Parteifreund Ehrhart Körting war bereits vor vier Jahren überzeugt, dass ein Verbotsverfahren auch ohne V-Leute angestrengt werden könne: „Alles das, was nach meiner Meinung verfassungsfeindlich ist, die Menschenwürde anderer verletzt, ist in öffentlichen Publikationen oder in öffentlichen Äußerungen von NPD oder NPD-Vertretern zu finden.“

Die Union hält das bislang für nicht ausreichend. Auf der Innenministerkonferenz soll deshalb in der nächsten Woche beschlossen werden, nun eine ausführliche Materialsammlung anzulegen. Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann betont: „Wir wollen aus der ganzen NPD alles zusammentragen, was wir in den letzten Jahren an Erkenntnissen haben über die Gefährlichkeit und über die Verfassungswidrigkeit dieser Partei.“

Zeitplan für mögliches Verbotsverfahren offen

Gerade dazu ist die Abschaltung der V-Leute in der NPD-Spitze nötig. Sonst könnte neues Beweismaterial zur Verfassungsfeindlichkeit der rechtsextremen Partei vom Verfassungsgericht ebenfalls als kontaminiert angesehen werden. Die Logik der Union: Keine V-Leute in der Parteispitze bedeutet saubere, gerichtsverwertbare Informationen. Unionsinnenexperte Bosbach glaubt zwar, der Zug rolle unaufhaltsam in Richtung Verbotsverfahren, einen Rückzieher würde die NPD als Niederlage des Staates werten. Aus dem Bundesinnenministerium und dem Umfeld der Innenministerkonferenz verlautet jedoch, noch sei nichts entschieden, das passiere frühestens Ende des Jahres. Bis dahin wird es maßgeblich auch auf die Ermittlungen zur NSU ankommen.

Hintergrund: Das Problem mit den V-Leuten
Nach der rechtsextremen Mordserie wird wieder über ein NPD-Verbot debattiert.
Die Diskussion dreht sich zumeist um eine Frage: Was ist mit den V-Leuten? [mehr]

Die Innenminister der SPD-regierten Länder drängen bereits seit längerem auf ein zweites Verbotsverfahren. Nach Angaben des Tagesspiegels haben sie bereits teilweise ihre V-Leute in den Vorständen der NPD „abgeschaltet“.

Sechs Monate ohne V-Leute Material sammeln

Die „Abschaltung“ der V-Leute sei aber nur ein „erster Schritt“, dem weitere Schritte vor der Einleitung eines Verbotsverfahrens folgen müssten, sagte Schünemanns Sprecher. Der Minister selbst erwartet nach eigenen Angaben, dass die Innenminister im Herbst 2012 über einen neuen Verbotsantrag entscheiden werden. Die Behörden müssten bis dahin ein halbes Jahr lang neues Material über die NPD sammeln, das nicht wegen Mitwirkung von V-Leuten in der Partei als fragwürdig eingestuft werden könne. „Denn ein erneutes Scheitern vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe wäre für unseren Staat der Super-GAU“, sagte Schünemann der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.

Einigung auf Abzug von V-Leuten ist wichtiger Schritt für ein NDP-Verbotsverfahren
ARD-Morgenmagazin 05:30 Uhr, 15.03.2012, Marcus Overmann, ARD Berlin. [Video]

Die Innenminister der Union hatten sich bislang skeptisch zu einem Verzicht auf V-Leute geäußert. Die generelle Abschaltung aller V-Leute in der NPD lehnt auch Schünemann nach Angaben seines Sprechers weiterhin ab. Die V-Leute würden den Sicherheitsbehörden wichtige Informationen zu geplanten Aufmärschen oder Konzerten liefern.

Bundesweit 160 Rechtsextremisten auf den Fahndungslisten

dapd. Bundesweit werden weit mehr als hundert Rechtsextremisten wegen Straftaten gesucht. Gegen sieben Neonazis läuft auch eine internationale Fahndung, wie die Süddeutsche Zeitung aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei zitiert. Weil sie untergetaucht seien, konnten die Haftbefehle bisher nicht vollstreckt werden.

Den Angaben zufolge standen Anfang Januar bundesweit 160 Rechtsextremisten auf den Fahndungslisten, 37 von ihnen in Bayern und je 29 in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Von den bundesweit 160 Gesuchten haben die Fahnder bis März bereits 46 Rechtsextremisten festnehmen können.

Bei den Straftaten, für die ein Haftbefehl ausgestellt wurde, sind nicht nur Gewaltverbrechen, Volksverhetzung und andere szenetypische Delikte dabei, wie das Zeigen des Hitlergrußes oder das Tragen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Etliche Rechtsextremisten werden auch wegen Betrug, Diebstahl oder Drogendelikten gesucht.

Neonazis in Deutschland – Rechtsstaat gegen Rechts

Ein Kommentar von Tanjev Schultz, Süddeutsche Zeitung Online, 15.03.2012. Im Fall der Zwickauer Terrorzelle kamen die Sicherheitsbehörden zu spät, jetzt muss alles dafür getan werden, dass sich so ein Versäumnis nicht wiederholt. Razzien wie die gegen das „Braune Haus“ senden dabei das richtige Signal an die Extremisten wie auch an die Öffentlichkeit. Trotzdem leben in Deutschland noch immer zu viele Neonazis zu unbehelligt.

Es gibt Fehler, die mit der Zeit verblassen, und Fehler, die mit der Zeit immer größer und ungeheuerlicher werden. Jena anno 1998, die verpatzte Festnahme von drei Neonazis, ist so ein Fall. Das Trio tauchte unter, es bildete die Zwickauer Zelle, raubend und mordend zog sie durchs Land.

Das konnten Polizei und Staatsanwälte damals noch nicht wissen. Dennoch möchte man nicht in der Haut der Beamten stecken, die den Terroristen Uwe Böhnhardt bei einer Durchsuchung davonrauschen ließen. Umso wichtiger ist es, heute alles dafür zu tun, dass man sich morgen nicht wieder so einen Fehler vorwerfen muss. Neonazis dürfen keine Chance haben, so einfach zu fliehen und zu verschwinden.

Sie tun es aber. Bundesweit liegen mehr als hundert Haftbefehle gegen Rechtsextremisten vor, die noch nicht vollstreckt werden konnten. Erst durch die Nachfragen der jüngsten Zeit steigt nun der Fahndungsdruck.

Lesen Sie weiter unter sueddeutsche.de.

Die auf der Website veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern wieder, sondern sollen einen Überblick über den öffentlichen Meinungsbildungsprozess sowie die gesellschaftliche und politische Diskussion gewährleisten.

Vorratsdatenspeicherung: Merkel will „zeitnah“ entscheiden

dapd. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält trotz der Dauerfehde zwischen dem Innenminister und der Justizministerin an einer Regelung der Vorratsdatenspeicherung fest. „Das Gespräch wird gesucht werden – und das Ziel ist weiterhin, zeitnah eine Entscheidung zu treffen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Er fügte hinzu, bei der Vorratsdatenspeicherung handele es sich um ein „wichtiges, aber auch ein sehr schwieriges Thema, bei dem unterschiedliche Überlegungen in Abwägung gebracht werden müssen“.

Hintergrund ist ein seit Monaten andauernder Streit zwischen den Fachministern. Während Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) auf die Einführung der Überwachungsmaßnahme pocht, lehnt dies Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ab. Statt dessen fordert sie ein alternatives Erhebungsverfahren im Falle von Verdachtsmomenten.

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