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3. Februar 2012

Mutmaßlicher NSU-Waffenlieferant war NPD-Funktionär

Von Norbert Demuth und Johann Tischewski, dapd. Bei ihren jüngsten Aktionen gegen mutmaßliche Helfer der Zwickauer Terrorzelle haben die Ermittler offenbar weitreichende Einblicke in die Unterstützerszene der rechtsterroristischen Gruppierung NSU gewonnen. Mit der Verhaftung von Carsten S. – der am 1.2.2012 vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs umfangreich aussagte – und der Razzia bei vier weiteren Beschuldigten in Sachsen in der vergangenen Woche sei man „ein großes Stück weitergekommen“, sagte Generalbundesanwalt Harald Range am Donnerstag dem Sender SWR-Info.
Trotz der intensiven Arbeit der vergangenen Monate habe man allerdings „erst gut ein Viertel der Beweisstücke ausgewertet“. Zudem müsse 900 Hinweisen aus der Bevölkerung nachgegangen werden. Dabei gehe Sorgfalt vor Schnelligkeit, betonte Range.

Enge Zusammenarbeit für Waffenbeschaffung

Carsten S. war am 1.2. in Düsseldorf wegen des Verdachts auf Beihilfe zu sechs Morden und einem versuchten Mord verhaftet worden. Die mutmaßlichen Unterstützer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) arbeiteten bei der Waffenbeschaffung offenbar eng zusammen. So sollen Carsten S., der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben und der mutmaßliche Helfer der Terroristen, Holger G., gemeinsam an einer Waffenlieferung im Jahr 2001 oder 2002 beteiligt gewesen sein, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete.

Die Bundesanwaltschaft hatte am 1.2. lediglich mitgeteilt, dass der 31-jährige Carsten S. gemeinsam mit dem inzwischen inhaftierten Wohlleben dem Zwickauer Terror-Trio 2001 oder 2002 eine Schusswaffe nebst Munition verschafft haben soll. Carsten S. soll die Waffe in Jena gekauft und an Wohlleben weitergegeben haben, der „einen Kurier“ mit dem Transport zu den NSU-Mitgliedern in Zwickau betraut haben soll. Laut „Süddeutscher Zeitung“ soll dieser Kurier Holger G. gewesen sein, der im November 2011 festgenommen worden war. Holger G. hat laut Medienberichten von Anfang Januar bereits ausgesagt, von Wohlleben eine Waffe für die NSU-Mitglieder erhalten und sie in Zwickau übergeben zu haben.

Carsten S. war auch NPD-Funktionär

Mit der Verhaftung von S. befinden sich jetzt bereits fünf mutmaßliche Unterstützer der Terrorgruppe in Untersuchungshaft. Zudem sitzt Beate Zschäpe, die Mitglied der Terrororganisation gewesen sein soll, seit dem 13. November 2011 in Haft. Insgesamt gibt es in dem Fall mittlerweile 13 Beschuldigte. Gegen mehrere weitere wird ermittelt.

Die Zwickauer Terrorzelle wird von der Bundesanwaltschaft für neun Morde an Kleinunternehmern türkischer und griechischer Herkunft sowie für den Mord an einer Polizistin in Heilbronn verantwortlich gemacht.

Carsten S. soll nach Informationen der Ermittler 1999 und 2000 auch im rechtsextremistischen „Thüringer Heimatschutz“ aktiv gewesen sein, zu dem auch die späteren NSU-Mitglieder Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sowie Wohlleben und Holger G. gehört haben sollen. Zudem soll er 1999 an der Spitze des NPD-Kreisverbandes Jena gestanden haben. Außerdem soll S. dem Thüringer Landesvorstand und als Landesvertreter dem Bundesvorstand der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten angehört haben.

NRW-Verfassungsschutz nicht über Carsten S. informiert

Carsten S. war angeblich nicht im Visier des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. „Der Verfassungsschutz NRW kannte Carsten S. nicht bis zum Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)“, sagte Behörden-Chefin Mathilde Koller am 2.2. im Innenausschuss des NRW-Landtags.

„In der Regel erfolgt ein Informationsaustausch zwischen den Ländern, wenn ein Extremist in ein anderes Bundesland umzieht. In diesem Fall ist das nicht passiert“, sagte Koller. S. war 2003 von Thüringen nach NRW umgezogen.

S. sei polizeilich in NRW nicht aufgefallen. In der Neonazi-Szene sei er nicht aktiv gewesen, sagte Koller. Sie widersprach Berichten, wonach S. am NRW-Aussteigerprogramm teilgenommen habe.

Die Linke-Innenexpertin Anna Conrads zweifelte an der Darstellung der NRW-Behörde. 2004 habe die Düsseldorfer Antifa von S. als Neonazi gesprochen. Der SPD-Landtagsabgeordnete Hans-Willi Körfges sagte, S. sei doch „kein unbeschriebenes Blatt“ gewesen.

Caffier fordert neuen NPD-Verbotsanlauf

Die zunehmenden Verbindungen zwischen den mutmaßlichen Helfern der Zwickauer Terrorzelle und der NPD bestärken die Befürworter eines neuen Verbotsanlaufs. „Die vorliegenden und die täglich neu auftauchenden Informationen und Materialien zum Wirken der NPD belegen nach meiner Auffassung klar, dass sie in aggressiv-kämpferischer Weise versucht, die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuschaffen“, sagte der Vorsitzende der Innenministerministerkonferenz, Lorenz Caffier, der Financial Times Deutschland.

Die beiden mutmaßlichen Terrorhelfer mit Parteibuch seien ein „weiterer Mosaikstein“, dass das Parteienverbot angegangen werden müsse. „Für diese ‚extremistischen Brandstifter‘ darf es keinen warmen Platz mehr in den Parlamenten geben“, sagte der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern.

Bis Ende März soll eine Bund-Länder-Kommission einen Kriterienkatalog vorlegen, mit dem die Chancen für einen neuen Anlauf zum Verbot der rechtsextremen NPD eingeschätzt werden können. Ein erstes Verbotsverfahren war 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert.

NSU sammelte Adressen von Beteiligten am NPD-Verfahren

Die Tageszeitung berichtet unterdessen, dass die rechtsextreme Zwickauer Terrorzelle  Adressen von Beteiligten an dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren gesammelt haben soll. In der abgebrannten Wohnung der Neonazis in Zwickau fanden die Ermittler ein Notizbuch mit 24 von Hand notierten Namen und Anschriften, schreibt das Blatt unter Berufung auf Ermittlerkreise . Unter den darin aufgeführten Namen seien etwa die beiden Rechtsprofessoren Günter Frankenberg und Wolfgang Löwer, die 2001 den Verbotsantrag stellten.

Auch die Namen von hochrangigen Sicherheitsbeamten des Verfassungsschutzes und der Polizei finden sich den Angaben zufolge in dem Adressbuch. Unklar sei indes, was die Terroristen mit der Adresssammlung bezweckten.

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