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19. Januar 2012

BKA ermittelt auf Hochtouren gegen Zwickauer Terrorzelle

Von Joachim Peter für die dapd. Das Bundeskriminalamt (BKA) erwartet weitere Ermittlungserfolge im Fall der Zwickauer Terrorzelle. Inzwischen seien acht Beschuldigte Gegenstand der Ermittlungen, davon säßen fünf in Haft. „Weitere Verdächtige haben wir im Blick – die Ermittlungen laufen auf Hochtouren“, sagte BKA-Präsident Jörg Ziercke am 17.1.2012 in Berlin.

Das BKA erwartet weitere Ermittlungserfolge im Fall der Zwickauer Terrorzelle. Inzwischen seien acht Beschuldigte Gegenstand der Ermittlungen, davon säßen fünf in Haft. „Weitere Verdächtige haben wir im Blick – die Ermittlungen laufen auf Hochtouren“, so Ziercke.

400 Beamte täglich im Einsatz

Nach wie vor seien rund 400 Beamte des Bundeskriminalamtes oder der Länderpolizei täglich im Einsatz, um den Fall des Terroristentrios Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt aufzuklären. Hintergrund ist die Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Die rechtsterroristische Gruppierung flog im November 2011 auf.

Die Ermittler hätten zudem zahlreiche Durchsuchungen durchgeführt, sagte Ziercke weiter. Momentan verfüge man über rund 5.000 potenzielle Beweismittel. Darunter seien 23 Festplatten mit Unmengen an Daten. „Allein aus dem zerstörten Zwickauer Haus haben wir 1.700 Asservate herausgeholt“, sagte Ziercke.

Der BKA-Chef sah auch Fortschritte bei der Untersuchung der Fahrzeuganmietungen der Zwickauer Terroristen: Die Ermittler hätten 64 Anmietungen zuordnen können, davon korrespondierten 15 mit den Tatzeiten begangener Morde und Banküberfälle. Nach dem öffentlichen Aufruf der Sicherheitsbehörden im Dezember habe es mehr als 600 zusätzliche, zum Teil auch „werthaltige“ Hinweise gegeben.

Sieben Rechtsextremisten laut BKA untergetaucht

Laut Ziercke gibt es gegenwärtig in Deutschland sieben untergetauchte Rechtsextremisten, die politisch motivierte Gewalttaten begangen hätten. Ihre Fälle seien jedoch „nicht vergleichbar“ mit der Komplexität der Zwickauer Terrorzelle, sagte der BKA-Präsident. Er halte „Hinweise, dass dieser Personenkreis in eine solche Dimension von Verbrechen verstrickt sein könnte, für nicht realistisch“.

Das Bundeskriminalamt beziffert die Zahl der Rechtsextremisten, die im Untergrund leben, auf insgesamt 159. Sie alle entzögen sich einem Haftbefehl. Davon würden 125 mit Haftbefehl zur Strafvollstreckung gesucht und 34 mit Haftbefehl zur Sicherstellung des Strafverfahrens.

Regierung beschließt Neonazi-Datei

Als Konsequenz aus den Ermittlungspannen im Zusammenhang mit der Zwickauer Terrorzelle hat die Bundesregierung am 17.1.2012 die Einrichtung einer Neonazi-Datei beschlossen. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sprach dabei von einem „wichtigen Meilenstein“ im Kampf gegen rechte Gewalt. Die Datei sei eine „nützlich Ergänzung“ zu dem bereits eingerichteten Gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus.

In der geplanten Datenbank sollen künftig all jene Rechtsextremisten aufgeführt werden, die einen klaren Bezug zur Gewalt zeigen. Eine rechtsextreme Gesinnung oder die Mitgliedschaft in der NPD reicht allein zur Nennung nicht aus. Diese Regelung setzte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in den Verhandlungen durch.

Das Verzeichnis wird für Ermittler bundesweit abrufbar sein. Das jetzt vom Kabinett gebilligte Gesetz soll noch vor der Sommerpause in Kraft treten, hieß es aus Regierungskreisen. Hintergrund ist die Mordserie der rechtsterroristischen Gruppierung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU).

BKA ist von Erfolg der Datei überzeugt

Laut Friedrich verpflichtet das Gesetz die Sicherheitsbehörden, Einträge in die Verbunddatei zu machen. Experten versprechen sich davon, dass Erkenntnisse einzelner Behörden mit denen anderer verknüpft werden können. Zusätzlich erhalten die Ermittler ein Rechercheinstrument, welches ihnen tiefer greifende Analysen ermöglicht. Die Nutzbarkeit ist zunächst bis Januar 2016 begrenzt – dann soll geprüft werden, ob sich das Instrument zur Fahndung eignet. „Die Untergetauchten von damals wären heute in der Verbunddatei, spätestens seit bei ihnen Sprengstoff in der Garage gefunden wurde“, sagte Friedrich mit Blick auf das Zwickauer Terroristentrio Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt.

Auch der Präsident des Bundeskriminalamts zeigte sich vom Erfolg der Verbunddatei überzeugt. Die Datei werde „präventive Wirkung“ entfalten, sagte Ziercke. Die Behörden könnten nun Strukturanalysen etwa zu Reiseaktivitäten oder zu Beziehungsgeflechten von Rechtsextremisten anfertigen. Gerade für das im Dezember begründete Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus, an dem 40 deutsche Sicherheitsbehörden beteiligt sind, sei die Datei ein „wichtiger Baustein“.

Rund 9.500 gewaltbereiter Rechtsextremisten in Deutschland

Wie viele Rechtsextremisten die Voraussetzungen für einen Eintrag in das Verzeichnis erfüllen, lässt sich laut dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, derzeit kaum abschätzen. Er bezifferte die Gesamtzahl gewaltbereiter Rechtsextremisten in Deutschland auf rund 9.500.

Sowohl Ziercke als auch Fromm konnten sich eine Zusammenarbeit ihrer Behörden mit dem Untersuchungsausschuss im Bundestag gut vorstellen. Gleichwohl werde es Einschränkungen bei den Aussagegenehmigungen von Zeugen geben müssen, insbesondere dann, wenn es um den Schutz von Personen oder Quellen gehe, sagte Fromm.

Verbunddatei stößt auf geteilte Reaktion

Die Einrichtung der Verbunddatei stieß im Bundestag auf unterschiedliche Reaktionen. Mit dem beschlossenen Gesetzentwurf mache „die Bundesregierung deutlich, dass Rechtsextreme in unserem Land strikt verfolgt werden“, sagte die Innenexpertin der FDP, Gisela Piltz. Hingegen kritisierte Jan Korte, Mitglied im Fraktionsvorstand der Linken, es sei ein „Armutszeugnis für die Bundesrepublik, dass wegen schlecht arbeitender Behörden nun Grundrechte eingeschränkt werden sollen“.

Die Grünen begrüßten die Verbunddatei. „Das ist der richtige Ansatz, um offensichtliche Defizite beim Informationsaustausch wie im Fall der Zwickauer Terrorzelle zu vermeiden“, sagte Innenexperte Wolfgang Wieland. Auf der Tagesordnung stehe jedoch „weiterhin ganz oben die lückenlose Aufklärung der Neonazi-Morde sowie die Rolle der Sicherheitsbehörden, insbesondere die Rolle des Verfassungsschutzes“, sagte Grünen-Chefin Claudia Roth.

Die SPD signalisierte Zustimmung zur Neonazi-Datei. „Der Kompromiss ist völlig in Ordnung“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann. Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach bemängelte den Passus des Gesetzes, wonach in der Datei nur die Daten von Rechtsextremisten gespeichert werden dürften, die einen Gewaltbezug aufweisen. „Die rechtsextremistischen Hassprediger, die sich selber die Finger nicht schmutzig machen, aber andere zu radikalen Handlungen anstacheln, werden dadurch nicht erfasst“, sagte Bosbach der Neuen Westfälischen.

Polizeigewerkschaft DpolG will Neonazi-Verbunddatei nachbessern

Aus Sicht der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) muss die neue Neonazi-Datei nachgebessert werden. Es sollten mehr Informationen eingestellt werden als im Gesetzentwurf vorgesehen, sagte der Bundesvorsitzende Rainer Wendt. Um sich ein umfassendes Bild über gewaltbereite Neonazis machen zu können, müssten auch Kontaktpersonen erfasst werden können. Das aber habe Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger verhindert.

„Die Bundesjustizministerin muss aufpassen, dass sie nicht zu ‚Bundesverhinderungsministerin‘ wird“, sagte Wendt. In dem Zusammenhang werde seine Gewerkschaft auch nicht locker lassen, auf die Einführung der Vorratsdatenspeicherung zu dringen.

Polizeigewerkschaft begrüßt Neonazi-Verbunddatei

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßt grundsätzlich die neue Neonazi-Verbunddatei. Eine bessere Vernetzung der Sicherheitsbehörden sei richtig, doch gingen die Pläne nicht weit genug, sagte der GdP-Vorsitzende Bernhard Witthaut unmittelbar nach dem Beschluss des Bundeskabinetts.

Er kritisierte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weil diese weiter auf kurze Speicher- und Löschungsfristen poche. „Wie sollen die Sicherheitsbehörden aber langjährige Verbindungen aufdecken, wenn sie ihre Erkenntnisse aus Datenschutzgründen nach einigen Jahren wieder wegwerfen müssen?“, fragte er. Sein Fazit: „Nachbesserungen müssen möglich sein.“

Im Hamburger Abendblatt kritisierte Witthaut die neue Neonazi-Datei als unzureichend. „In die Neonazi-Datei hätten auch geistige Brandstifter mit einbezogen werden müssen“, sagte Witthaut . „Dieses Versäumnis wird uns in Zukunft noch auf die Füße fallen.“

Witthaut forderte zudem einen „gemeinsamen Untersuchungsausschuss von Bund und Ländern“ zur Aufarbeitung der Versäumnisse der Ermittlungsbehörden in der rechtsextremen Mordserie. „Es müssen alle Behörden der Länder offensiv an der Aufklärung beteiligt werden“, betonte der GdP-Chef.

Datenschutzbeauftragter kritisiert Neonazi-Verbunddatei

Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hegt Bedenken gegen die vom Kabinett beschlossene Verbunddatei für gewaltbereite Neonazis. Vollzugsdefizite, zum Beispiel aufgrund der Nichtbeachtung geltender Gesetze, könnten nicht durch neue Gesetze behoben werden, sagte Schaar am Mittwoch in Berlin. „Wenn Sicherheitsbehörden keinerlei Anhaltspunkte sehen, dass eine Mordserie rechtsextremistisch motiviert ist, hilft auch die neue Datei nicht weiter“, argumentierte er.

Edathy soll NSU-Ausschuss leiten

Unterdessen wurde bekannt, dass der SPD-Politiker Sebastian Edathy nach einem Beschluss der SPD-Bundestagsfraktion dem NSU-Untersuchungsausschuss vorsitzen soll. Das Gremium, das voraussichtlich kommende Woche einberufen wird, soll die Ermittlungspannen bei der Mordserie der rechtsterroristischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) aufklären. Das Trio lebte mehr als 13 Jahre nahezu unbehelligt von den Sicherheitsbehörden im Untergrund.

Edathy ist Sohn eines indischen Vaters, war zwischen 2005 und November 2009 vier Jahre Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag, saß als Mitglied im Rechtsausschuss und ist stellvertretender Vorsitzender des Gorleben-Ausschusses. Zudem war der gebürtige Hannoveraner, der auch im SPD-Unterbezirksvorstand im niedersächsischen Nienburg Mitglied ist, von 2000 bis 2006 Sprecher der Arbeitsgruppe „Rechtsextremismus und Gewalt“ der SPD-Fraktion.

Allerdings ist der Vorsitz des Untersuchungsauschusses auch die bisher größte Aufgabe seiner Karriere. Die Herausforderung ist nicht zu unterschätzen: Bis zum Ende der Legislaturperiode 2013 muss der Ausschuss Ergebnisse vorlegen. Das ist ein relativ enger Zeitraum angesichts der zahlreichen offenen Fragen.

Zahlreiche offene Fragen

So muss zum Beispiel geklärt werden, welche Informationen den Sicherheitsbehörden im Bund nach dem Untertauchen der späteren NSU-Terroristen im Jahr 1998 über das Trio vorlagen. Dabei soll insbesondere untersucht werden, woher die Auskünfte stammten und ob V-Leute in die Informationsbeschaffung eingebunden waren. Über allem schwebt die Frage, welche strukturellen Defizite bei der Zusammenarbeit der verschiedenen Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern bestanden.

Edathy ist zuversichtlich, Antworten zu finden: „Mein Eindruck ist bisher, dass alle fünf im Bundestag vertretenen Parteien ein Interesse daran haben, den Untersuchungsgegenstand umfassend aufzuarbeiten“, sagte der 42-Jährige im dapd-Interview. Und fügte hinzu: „Dabei geht es nicht um parteipolitische Belange, sondern um die Funktionsfähigkeit des demokratischen Rechtsstaats.“

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