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12. Juli 2013

Soziale Schieflage: Deutschen Juden droht Armut im Alter

Zuwanderer aus der Ex-Sowjetunion haben in der Bundesrepublik nur minimale Rentenansprüche. Deshalb fordern die Grünen für sie gleiche Rechte wie für Spätaussiedler, die besser gestellt sind. Von Matthias Kamann, erschienen Auf Die Welt Online, 12.7.2013. 

Ohne sie wäre jüdisches Leben in Deutschland kaum denkbar. Knapp 90 Prozent der hier lebenden Juden sind Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Gekommen sind sie nach 1991, mehr als 200.000, meist als Kontingentflüchtlinge im Rahmen eines besonderen Aufnahmeprogramms. Heute garantieren sie den Bestand jüdischer Kultur – morgen werden die meisten arm sein. Ihre Rente reicht nicht, sie sind auf die steuerfinanzierte Grundsicherung im Alter angewiesen.

Schon 2011 stellte der Zentralrat der Juden fest, dass es sich „bei einer großen Anzahl unserer jüdischen Zuwanderer um Bezieher von Grundsicherung handelt“, die Zahl werde „in den kommenden Jahren weiter ansteigen“. Nach Schätzungen von Vereinen sollen bereits rund 90 Prozent der jüdischen Zuwanderer über 65 Jahren Grundsicherung im Alter beziehen, während es bei den über 65-Jährigen in der Gesamtbevölkerung gerade mal 2,6 Prozent sind.

Zwar können sich die Prozentangaben zu den jüdischen Zuwanderern nicht auf offizielle Daten stützen, weil die zu dieser Gruppe nicht erhoben werden. Doch kann kein Zweifel bestehen, dass Altersarmut bei den hier lebenden Juden verbreiteter ist als in fast jeder anderen Bevölkerungsgruppe.

Winzige Renten aus ihren Herkunftsländern

Denn zum einen bekommen sie keine oder nur winzige Renten aus ihren Herkunftsländern, den Nachfolgestaaten der Ex-UdSSR. Zum andern haben sie in Deutschland, wo sie nach der Ankunft oft arbeitslos waren, nicht lange genug gearbeitet, um noch eine ordentliche Rente zu bekommen.

„Diese soziale Lage der jüdischen Zuwanderer ist in Deutschland kaum bewusst“, beklagt Sergey Lagodinsky, Mitglied der Repräsentanz der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Dabei seien, so Lagodinsky, jene Zuwanderer „zum Teil ja auch Holocaust-Überlebende“, für die Deutschland eine besondere Verantwortung habe. Und mit dieser Verantwortung begründen die Grünen, denen Ladoginsky angehört, jetzt ihren Versuch, die rentenrechtliche Stellung der jüdischen Zuwanderer zu verbessern.

Kurz vor der Sommerpause brachten die Grünen im Bundestag einen Gesetzentwurf ein, nach dem jüdische Kontingentflüchtlinge rentenrechtlich genauso behandelt werden sollen wie eine andere Gruppe von Zuwanderern aus der Ex-UdSSR, nämlich wie Spätaussiedler.

Spätaussiedler sind besser gestellt

Diese Zuwanderer aus dem „deutschen Sprach- und Kulturraum“ – so die offizielle Kategorie – fallen unter das Fremdrentengesetz (FRG). Nach diesem werden Beschäftigungszeiten im Herkunftsland als Versicherungszeiten nach dem bundesdeutschen Rentensystem berechnet, im Grunde also behandelt, als wäre der Rentenanspruch in Deutschland entstanden. So erwächst bei einer Spätaussiedlerin aus der Beschäftigung als Krankenschwester in der Ex-UdSSR ein deutscher Rentenanspruch.

Dies soll laut Grünen-Entwurf auch für jüdische Kontingentflüchtlinge gelten, weil auch die seit 1991 „in der Verantwortung vor der deutschen Geschichte aufgenommen worden“ seien. Doch als dieser Gesetzentwurf in der letzten Bundestagssitzungswoche am 27. Juni beraten wurde – mangels Zeit nur im Protokoll –, wurde von Koalitionsseite eingewandt, dass eine Ausweitung des FRG auf weitere Gruppen heikle Rechtsfolgen hätte. Zudem, dieser Ansicht ist auch die SPD, müsse man zunächst versuchen, die jüdischen Zuwanderer in den Genuss direkter Rentenzahlungen der Herkunftsländer zu bringen.

In Deutschland russische Renten beziehen

Tatsächlich gibt es solche Rentenzahlungen. In Russland verfügte der Oberste Gerichtshof, dass russische Renten für dortige Beschäftigungszeiten auch dann weiterzuzahlen sind, wenn die Bezieher ins Ausland, etwa nach Deutschland, gezogen sind. Rund 79.000 Menschen in Deutschland beziehen russische Renten. Darunter sind aber auch viele Nicht-Juden, und längst nicht jeder Ex-Russe hat Anspruch darauf.

Und sehr schlecht stehen Personen aus anderen Nachfolgestaaten der UdSSR da. Weder mit der Ukraine, dem Hauptherkunftsland hiesiger Juden, noch mit Weißrussland oder Moldawien hat Deutschland ein Sozialversicherungsabkommen, das solche Rentenzahlungen regeln würde. Wäre also eine Übernahme der jüdischen Zuwanderer ins FRG doch eine unbürokratische Hilfe für sie?

Nur minimaler Rentenbetrag

Als aber Volker Beck, Grünen-Fraktionsgeschäftsführer und Haupt-Initiator jenes Gesetzentwurfs, am Mittwoch in der Berliner Jüdischen Gemeinde mit Betroffenen über das Thema sprach, musste er merken, dass die Sache so einfach nicht ist. „Wir haben hier eine Idee entwickelt, die wahrscheinlich nicht alle Probleme löst“, stellte Beck fest.

Denn selbst wenn das FRG auf diese Gruppe angewandt würde, wäre nicht viel gewonnen, weil die Umrechnungsschlüssel dabei mittlerweile so verschärft wurden, dass auch aus längeren Beschäftigungszeiten in der Ex-UdSSR nur ein minimaler Rentenbetrag entstände. Mit dem lägen die meisten immer noch unter den Grundsicherungsbeträgen.

Außerdem haben die jüdischen Zuwanderer noch ganz andere Rentensorgen. So beklagten einige am Mittwoch, dass manche Sozialämter eine Entschädigungsrente für NS-Opfer auf die Grundsicherung anrechnen. So beziehen einige aus Russland etwas Geld, weil sie im Krieg dem Grauen der Blockade Leningrads ausgeliefert waren.

Die dafür gezahlte russische Entschädigungsrente darf nach deutschem Recht nicht auf die Grundsicherung angerechnet werden. Aber einige Behörden tun das doch – und zwingen die hochbetagten Menschen zu langen Rechtsstreitereien.

Rente bei der Grundsicherung berechnet

Es gibt aber auch den umgekehrten Fall: Eine normale russische Beschäftigungsrente muss ja durchaus bei der Grundsicherung berechnet werden, aber einige jüdische Zuwanderer gaben auf dem Amt nicht an, dass sie eine solche Rente bekommen.

Sei es aus Verständnisgründen, sei es weil anfangs niemand danach fragte. Das Ergebnis jedenfalls, so erzählte eine Frau, sind bei ihr Straf- und Rückzahlungsforderungen von 20.000 Euro. Die stottere sie nun mit Hilfe von Entschädigungszahlungen ab, die sie als Holocaust-Opfer erhält.

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