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11. Mai 2012

Antisemit in Schräglage

Ein Kommentar von Paul Jandl, erschienen in Die Welt. Nein, sein Denkmal soll nicht vom Sockel gestoßen, sondern nur leicht gekippt werden. Um 3,5 Grad. Nach rechts. Der bärtige Herr im Mantel, der sich die bronzenen Hände beschwörend auf die Brust legt, ist wahrlich kein Linker gewesen, und seine politische Vita hat jene Stadt, in der er einmal Bürgermeister war, längst in memoriale Schieflage gebracht. Plätze, Straßen, Kirchen sind nach Karl Lueger benannt, Wiens erzpopulistischer Symbolfigur des Fin de Siècle, die mit ihren wüsten antisemitischen Tiraden dafür gesorgt hat, dass sich die kleinbürgerlichen Wiener an ihrem Stammtisch als ein Stamm der besonderen Art fühlen konnten. Von unten herab durften sie auf die Juden, die Intelligenz und das Fremde schimpfen. Das hat das Volk dem „schönen Karl“, wie er unter den Verehrern hieß, bestens gedankt. Man hat sich gegenseitig zu größter Popularität verholfen.

Über hundert Jahre nach Karl Luegers Tod will Wien jetzt Ernst machen mit einer postumen Demontage. Der Vorschlag, das Denkmal am Lueger-Platz schräg zu stellen, ist das Siegerprojekt eines künstlerischen Wettbewerbs, und auch die Wiener Universität, die am Karl-Lueger-Ring ihre Adresse hat, wollte nicht länger mit dem antisemitischen Intellektuellenfeind in einem Zug genannt werden. Ab Herbst wird der Abschnitt an Wiens Prachtstraße schlicht Universitäts-Ring heißen. Viele Jahre hat man diskutiert, jetzt traut man sich.

Schon wahr: Ein irrlichternder junger Adolf Hitler hat in seinen Wiener Lehr- und Wanderjahren einiges gesehen, was ihm dann zum dumpfen politischen Brei geronnen ist. Mit Schwung arbeitet eine österreichische Historikerkommission daran, das politisch Bedenkliche aus dem Stadtbild zu entfernen. Muss diese Art der Vergangenheitsbereinigung im Fall eines Karl Lueger aber richtig sein? An seine geistigen Hinterlassenschaften der Unkultur könnte jedenfalls mahnend im weltkulturellen Erbe der Stadt erinnert werden, weil er ein Wiener par excellence war, einer, der noch „die ledernsten Leute einfach verführt, der beweist, dass der Wiener im Grunde recht hat, weil der Wiener der eigentliche Mensch ist, der Alles und Jedes mit Gemüt durchwirkt und guirlandiert“. So stand es 1910 in einem Nachruf von Karl Kraus‘ „Fackel“. Dass das Gemüt auch die schlimmsten Schäbigkeiten verbrämen kann, ist eine österreichische Weltweisheit, die nicht dadurch gemildert ist, dass sie auch in den übrigen Weltgegenden für wahr gehalten wird.

Allein auf die Gefahr hin, dass nicht alle Wiener anders geworden sind, als es die Wiener zu Luegers Zeiten waren, sollte der Lueger-Ring auch weiterhin Lueger-Ring heißen. Und das Denkmal sollte stehen bleiben, wie es ist. Den Rest mögen die Tauben besorgen.

Die auf der Website veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern wieder, sondern sollen einen Überblick über den öffentlichen Meinungsbildungsprozess sowie die gesellschaftliche und politische Diskussion gewährleisten.
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